Die Türkei in der Zwickmühle : Ankara spricht mit den syrischen Kurden

THE GERMAN KURDISH CHAPTER

Inga Rogg, Istanbul – Neue Zürcher Zeitung – 28.7.2013 – Ein Vertreter der in den kurdischen Siedlungsgebieten im Norden Syriens tonangebenden kurdischen Partei ist in Istanbul eingetroffen. Die syrischen Kurden planen ein Autonomiegebiet. Die Türkei will das verhindern.

Vor die Wahl gestellt, entweder zuzusehen, wie kurdische Kämpfer in Syrien zur Gefahr für die Türkei werden, oder mit diesen das Gespräch zu suchen, hat sich Ankara offenbar für das Reden entschieden. Überraschend ist Salih Muslim, der Co-Vorsitzende der syrisch-kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD), am Donnerstagabend zu zweitägigen Gesprächen in Istanbul eingetroffen. Die PYD ist die syrische Schwesterpartei der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan bestätigte den Besuch am Freitag.

Treffen mit dem Geheimdienst

Demnach trifft sich Muslim mit Vertretern des türkischen Geheimdienstes MIT, der seit Monaten auch die Verhandlungen mit dem inhaftierten PKK-Chef Abdullah Öcalan führt. Der MIT werde Muslim vor «falschen und gefährlichen Schritten» warnen, sagte Erdogan. Zwischen Einheiten der PYD und Kämpfern der Nusra-Front, die sich zur Kaida bekennt, ist es in den letzten Wochen zu schweren Kämpfen gekommen. Der PYD gelang es vor etwa zehn Tagen, die Grenzstadt Ras al-Ain unter ihre Kontrolle zu bringen. Im Verlauf der Gefechte schlugen Granaten auf der türkischen Seite ein, zwei Jugendliche wurden getötet. Die Gefechte in der Region, in der auch ein Teil von Syriens Ölfeldern liegen, dauerten am Freitag an. Dabei erhalten die Nusra-Kämpfer offenbar auch Unterstützung von anderen syrischen Rebellengruppen.

Muslim hatte letzte Woche faktisch die Ausrufung eines kurdischen Autonomiegebiets angekündigt. Ein unabhängiger Rat werde die Verwaltung übernehmen und Wahlen organisieren, sagte Muslim. Für die Türkei ist das ein Albtraum, da ein solcher Schritt die PKK stärken würde. Zwischen den syrischen und den türkischen Kurden gibt es historisch enge verwandtschaftliche Bindungen. Viele syrische Kurden haben auf der Seite der PKK-Rebellen gekämpft, und die PYD ist zweifellos die stärkste syrisch-kurdische Partei. «Unsere Politik richtet sich nicht gegen Kurden, ob in Syrien, im Irak oder anderswo», sagte der Sprecher des türkischen Aussenministeriums, Levent Gümrükcü, im Gespräch. «Wir sind jedoch dagegen, dass eine Gruppe in Syrien vollendete Tatsachen schafft.» Alle Entscheidungen müssten vom künftigen Parlament getroffen werden.

Neues Dilemma

Die türkischen Kurden werfen Ankara vor, in Syrien die Nusra-Front im Kampf gegen die PYD-Rebellen zu unterstützen. Die Türkei unterstütze keine Gruppen, die nicht für ein demokratisches Syrien einträten, sagte Gümrükcü. Namen wollte er allerdings nicht nennen. Derzeit sieht es freilich nicht danach aus, dass der Krieg in Syrien bald zu Ende geht. Und je länger die Kämpfe dauern, umso wahrscheinlicher wird es, dass in den Gebieten entlang der rund 900 Kilometer langen Grenze zur Türkei, in der die Kurden die Mehrheit bilden, ein kurdisches Autonomiegebiet entsteht. Im Grunde genommen befindet sich die Türkei heute in einer ähnlichen Lage wie in den neunziger Jahren, als die Kurden im Irak den Norden unter ihre Kontrolle brachten. Lange Zeit hatte Ankara alles getan, um die Entstehung des Teilstaats zu verhindern. Heute sind die Beziehungen Ankaras mit Erbil einer der wenigen Lichtblicke in der türkischen Aussenpolitik.

Der Schulterschluss mit dem Regionalpräsidenten von Kurdistan, Masud Barzani, hat sich für Ankara in Syrien nicht ausbezahlt. Zum einen verfolgt Barzani in Syrien eigene Interessen, zum anderen ist der Ableger seiner Partei unter den syrischen Kurden schwach. Unter den Kurden aller Länder hat der Kampf der PYD gegen die Rebellen eine Solidaritätswelle ausgelöst. Für sie ist es ein Konflikt zwischen Kurden und Arabern um «West-Kurdistan», wie sie die syrischen Gebiete nennen.

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