Die Mitsprache beim Sprechverbot – Postmodernistischer Autoritarismus : Wo Studenten ihre Dozenten denunzieren, weil diese ihnen das Denken nahebringen, stößt Aufklärung an ihre Grenzen
MESOP: DAS GENDERISTISCHE REGELKREISSYSTEM – KYBERNETISCH NEUTRALISIERTE UNIVERSITÄT DER GESCHLECHTERPOLITIK
VON MAGNUS KLAUE
Die gegenwärtige Universität als „Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden”, wie die geschlechterpolitisch reformierte Variante der Formel von der Universitas magistrorum et scholarium lautet, begreift sich als kommunikatives Kreislaufsystem, an dessen Optimierung alle Beteiligten mitarbeiten. Wie in Parodie auf Niklas Luhmanns Systemtheorie hat sich jeder als Bestandteil eines Netzwerks zu verstehen, in dem jedes Wort und jede Tat vom Ganzen induziert wird und aufs Ganze zurückwirkt.
Das kybernetische Vokabular, mit dem die Angehörigen der Institution ihre Arbeit beschreiben – von „Modularisierung” über „Impulsreferat” bis zu „Input” und „Feedback” -, ist Ausdruck dieses Selbstverständnisses. Das klingt auch in der Beschreibung des Arbeitsfeldes Evaluation in den Richtlinien zur Qualitätssicherung und -entwicklung der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) an, worin es heißt: „Durch die interne und externe Evaluation soll die Qualität von Lehre, Studium und Forschung gesichtet und verbessert werden. Hierbei kann Evaluation sowohl summativ zur Bewertung von Ergebnissen als auch formativ zur Begleitung und Beratung eingesetzt werden.”
Während die „externe Evaluation” von „Kers” vorgenommen wird, die „abhängig von den Zielen des Evaluationsverfahrens Lehre, Studium und/oder Forschung auf der Basis des Selbstreports und einer ein- bis zweitägigen Vor-Ort-Begehung” begutachten, ist die „interne Evaluation” eine „systematische Bestandsaufnahme durch die Fächer/Fachbereiche”, in der „die zukünftige strategische Ausrichtung (das Profil) geklärt” werden soll. Da zu den Fächern und Fachbereichen Dozenten und Studenten gehören, zählt zur „internen Evaluation” die Bewertung der Lehrenden durch die Lernenden mittels anonymisierter Fragebogen. Obwohl es von den Beteiligten selten offen eingestanden wird, kommt darin ein neues Verständnis von der Beziehung zwischen Studenten und Dozenten zum Ausdruck.
Letztere haben fortan weniger die Aufgabe, die Leistungen der Studenten im Hinblick auf ihre Eignung für eine akademische Laufbahn zu beurteilen, als die Kommunikation zwischen sich selbst und den Studenten mittels eines flexiblen Notenrankings zu verbessern. Erstere wiederum werden weniger als Lernende denn als mündige Konsumenten wahrgenommen, die das ihnen offerierte Lehrangebot ebenso kompetent bewerten können wie die Lehrenden das Angebot an Nachwuchs.
Die Implementierung des Konkurrenzprinzips in den Lehrbetrieb wäre begrüßenswert, wenn sie der Formierung von Cliquen entgegenarbeiten würde, zu der das akademische Milieu schon immer neigte, gerade weil die Bildung geistiger Schulen notwendig ist, um es lebendig zu erhalten. Das Mobbing studentischer Gruppen gegen politisch oder auch nur habituell unliebsame Professoren, das in den vergangenen Monaten an der Berliner Humboldt-Universität (HU) für Aufsehen gesorgt hat, deutet aber darauf hin, dass die administrativ verordnete Basisdemokratie die Cliquenbildung sogar befördert. Die von Studenten vorwiegend anonym mittels Blogs betriebene Diffamierung des HU-Politikwissenschaftlers Herfried Münkler und seiner Kollegen, des Soziologen Michael Makropoulos und des Historikers Jörg Baberowski, haben drei Gemeinsamkeiten.
Zum einen richten sie sich gegen Geistes- und Sozialwissenschaftler. Das ist nicht selbstverständlich, ist in der Zeit der Studenten- und Friedensbewegung doch nicht selten den Natur- und Technikwissenschaften ihre Beteiligung an Kriegs- oder Rüstungsforschung vorgeworfen worden. Mit solchen Protesten, deren pragmatischer Zweck bei aller Kritikwürdigkeit erkennbar blieb, haben die jüngsten Kampagnen wenig zu tun. Sie entzünden sich vorwiegend daran, dass die Denunzierten die Sprach- und Theoriecodes nicht einhalten, die von entsprechenden studentischen Gruppen zur Norm erhoben werden, und deshalb als Rassisten, Eurozentristen oder Sexisten gelten. Es geht nicht tim die Durchsetzung diskutabler politischer Ziele, sondern nur um das, was die Denunzianten ihren Gegnern unterstellen: Diskursherrschaft.
Zum Sieg verholfen werden soll dabei -dies ist die zweite Gemeinsamkeit – ei nem spezifischen Diskurs: dem postmodernen Kulturalismus in seinen verschiedenen Spielarten, seien dies nun Antikolonialismus, Antisexismus oder die Critical Whiteness Studies, die an der HU seit einigen Jahren mit Vehemenz gegen die Sozial- und Geschichtswissenschaften die Verabsolutierung von „Kultur” betreiben. Damit geht die dritte Gemeinsamkeit einher: das Bemühen, die Tradition der Aufklärung so weit wie möglich aus den Curricula zu tilgen. Dabei geht es nicht darum, einen Streit über problematische Implikationen des Denkens der Aufklärung zu initiieren, sondern im Gegenteil darum, jeden Streit präventiv zu unterbinden. Die Werke von Locke, Kant oder Hegel werden in keinem philosophischen oder historischen Seminar als unhinterfragbare Dogmen präsentiert, sondern als kanonische Texte, die gerade der kennen muss, der sie kritisieren möchte. Wer allein schon die Tatsache, dass solche Texte Pflichtlektüre sind, als Ausdruck von Autoritarismus versteht, gibt damit nur das eigene Bedürfnis zu erkennen, seine Autorität absolut zu setzen.
Selbst das ließe sich als Obskurantismus abtun, wenn nicht der Betrieb der wechselseitigen Evaluation, den die Universitätsverwaltungen begünstigen, solchen Interventionen eine praktische Bedeutung verliehe, die ihnen ihrem Gehalt nach nicht zukommt. Seit etwa zehn Jahren haben Internet-Plattformen wie „MeinProf.de” das Prinzip der studentischen Lehrevaluation und des Rankings in einer Weise verallgemeinert, wie die HRK es zweifellos nicht beabsichtigt hat.
So ist gegen „MeinProf.de” -seit- ihrer Gründung 2005 immer wieder von Hochschulen geklagt worden, um durchzusetzen, dass die dortigen Mitarbeiterprofile wegen beleidigender Kommentare oder aus datenschutzrechtlichen Gründen entfernt zu werden. Dennoch erfreut sich die Plattform als eine Art studentische Kundenberatung bis heute großer Beliebtheit. Vielen Klagen der vergangenen Jahre wurde stattgegeben, einige wurden abgelehnt, ohne dass sich zu dieser Form des Internetrankings eine einheitliche Rechtsprechung durchgesetzt hätte.
Mit den anonymen Blogs, auf denen Professoren denunziert werden, und den anonymisierten Fragebogen, auf denen Studenten im Einklang mit den Regeln des Betriebs ihre Dozenten evaluieren dürfen, haben Seiten wie „MeinProf.de” zumindest- die Intransparenz der Kriterien gemein, die der Bewertung zugrunde liegen. Wer einem Dozenten in einer studentischen Evaluation mangelnde pädagogische Fähigkeiten attestiert, konnte ihm womöglich aufgrund schlechter Vor-bereitung nur nicht richtig folgen. Wer eine Professorin als autoritär und überheblich ansieht, hat vielleicht nur uneingestandene Angst vor souverän auftretenden Frauen. Auskunft darüber gibt in den Evaluationsbögen allenfalls die Selbstevaluation, die nicht ihrerseits noch einmal evaluiert wird und auch einfach auf Selbstüberschätzung beruhen kann. Bei „MeinProf.de” fällt sie weg, und die anonymen Blogs geben absichtsvoll keine Auskunft
über die Bildungswege und Fähigkeiten derjenigen, die sie betreiben.
Dass Netzwerke in einem Milieu, das sich zunehmend als Netzwerk begreift, stärkeren Einfluss gewinnen, mag unausweichlich sein. Gerade den Universitätsverwaltungen müsste jedoch daran gelegen sein, Prozesse der Evaluation rational und kalkulierbar zu gestalten und sie so wenig wie möglich durch willkürliche Manipulationen beeinflussen zu lassen, in denen sich womöglich nur enttäuschter Stolz, Unfähigkeit oder wütende Überforderung ausdrücken. Dafür wäre die Einsicht nötig, dass unnötige Hierarchien sich nicht beseitigen lassen, indem sich alle vor allen zu verantworten haben, sondern nur durch Besinnung auf Sachhierarchien, die im jeweiligen Erkenntnisgegenstand begründet sind. Das würde bedeuten, die Lernenden nicht einfach als mündige Lehrstoffkonsumenten anzusehen, sondern an dem zu messen, was sie sein könnten: künftige Lehrende. Kein anonymer HU-Blogger würde diesen Test bestehen.