Deutschland, die Zensur-Republik / Heiko Maas will alle Definitionsmacht

MESOP CULTURE: IN  DEUTSCHLAND  WIEDER EINMAL SONDERRECHT !

Kommentar von Eric Gujer 13.4.2017,  (SCHLAGLICHTER)

Die Regierung in Berlin glaubt, das Internet sei eine deutsche Sache, und will soziale Netzwerke stärker kontrollieren. Die Gefahr ist groß, dass kontroverse Inhalte entfernt werden – auch legale. Ein Beispiel hierfür ist der Facebook-Gesetzentwurf von Justizminister Heiko Maas.

Die grosse Koalition will Härte zeigen gegen die in sozialen Netzwerken grassierenden Hasskommentare, Verunglimpfungen und Beleidigungen. Diese sind, wer wollte dies leugnen, eine Seuche des Internets. Doch die von Maas vorgeschlagenen Instrumente schiessen weit übers Ziel hinaus. Offensichtlich rechtswidrige Inhalte müssen innert 24 Stunden nach Eingang einer Beschwerde gelöscht werden, weniger gravierende Delikte innerhalb einer Woche. Sonst drohen Bussen von bis zu 5 Millionen Euro für Einzelpersonen und 50 Millionen für Firmen.

Allein die Fristen sind realitätsfremd. Auch das konventionelle Presserecht kennt Sanktionen für Falschmeldungen. Mit Gegendarstellungen, der Forderung nach einer Berichtigung oder gar der Löschung eines Textes im Internet können sich Betroffene wehren. Bis sich die Anwälte der beiden Seiten geeinigt haben, vergehen selbst in schwerwiegenden Fällen oft mehrere Tage. Eine 24-Stunden-Frist im Presserecht wäre das Ende jeder vertieften Beschäftigung mit den Beschwerden. Um nicht eine existenzgefährdende Geldstrafe zu riskieren, würden die meisten Redaktionen vermutlich strammstehen und den Forderungen nachkommen.

Ob Zeitdokument oder Kinderpornografie – erst der Kontext erlaubt ein Urteil.

Zwar hat das Justizministerium ein kompliziertes und langwieriges Verfahren vorgesehen, bevor eine solche Strafe schliesslich verhängt werden kann. Die Absicht ist erkennbar, zwar für mehr Ordnung im Cyberspace zu sorgen, aber gerade keine Meinungspolizei zu installieren. Aus den besten Absichten werden allerdings oft die schlimmsten Taten begangen, und so ist auch in diesem Fall die Gefahr gross, dass die vom Gesetz aufgebaute Drohkulisse Facebook, Twitter oder Youtube zu einer vorsorglichen Löschung inkriminierter Inhalte veranlassen wird. «Overblocking» nennt sich das auf Neudeutsch und ist in sozialen Netzwerken bei blanken Brüsten bereits heute gängige Praxis. So sperrte Facebook vorübergehend die ikonografische Foto des Vietnamkriegs – ein vor einem Napalm-Angriff flüchtendes Mädchen –, weil die junge Vietnamesin nackt war.

Ob Zeitdokument oder Kinderpornografie – erst der Kontext erlaubt ein Urteil. Zugleich überfordern komplexe politische und gesellschaftliche Zusammenhänge die Algorithmen, die als automatische Helferlein die Sortierarbeit übernehmen. Um die kostspielige Prüfung von Beschwerden durch Menschen zu minimieren, werden die sozialen Medien polarisierende Inhalte löschen, auch wenn diese völlig legal sind. Die Meinungsfreiheit leidet, aus den besten Absichten.

Schere im Kopf

Die Schere im Kopf wird dann auch deshalb zum wichtigsten Arbeitsmittel bei den sozialen Netzwerken, weil sie global agieren und mit unterschiedlichen Rechtslagen konfrontiert sind. Bis anhin verläuft die Grenze zwischen Demokratien und autoritär regierten Ländern, wo ausländische soziale Netzwerke entweder verboten sind oder nur unter erheblichen Restriktionen operieren können.

Setzt sich Maas durch, gibt es bald auch ein deutsches Sonderrecht. Die Deutschen halten sich zwar gern für die besten Europäer, aber wie zuletzt in der Migrationspolitik stellen sie mit dem Gesetzentwurf einmal mehr ihre EU-Partner vor vollendete Tatsachen, statt eine gemeinsame europäische Lösung zu suchen. Solche nationalen Regulierungen des Internets sind ein Anachronismus. Die Unternehmen, die mit dieser digitalen Kleinstaaterei zurechtkommen müssen, werden möglichst unverfängliche Minimalstandards definieren, die sie dann konsequent durchsetzen: Katzenbilder sind gut, kontroverse politische Inhalte schlecht.

In gefestigten Demokratien schafft die Schwarmintelligenz der Bürger ein höheres Mass an politischer Legitimität als die Entscheidungen von Individuen und Institutionen.

Eine Demokratie kann ohne Meinungsfreiheit nicht überleben. Nur in der ungehinderten politischen Auseinandersetzung haben die Bürger die Möglichkeit, sich eine eigene Meinung zu bilden, die sie befähigt, bei Wahlen und Abstimmungen ein kompetentes Urteil zu fällen. Der öffentliche Schlagabtausch führt zu Zuspitzungen und Übertreibungen, aber die kollektive Vernunft der Öffentlichkeit ist auch das zuverlässigste Instrument, um auf Dauer Sinn von Unsinn zu trennen.

In gefestigten Demokratien schafft die Schwarmintelligenz der Bürger jedenfalls ein höheres Mass an politischer Legitimität als die Entscheidungen von Individuen und Institutionen, ob Ministern oder Gerichten, die sich unweigerlich dem Vorwurf der Parteilichkeit aussetzen. Für den unappetitlichen Rest genügt das bestehende Strafrecht oder in milderen Fällen die souveräne Nichtbeachtung des Narrensaums an Verschwörungstheoretikern und Wirrköpfen.

Kollateralschaden

Wer mit aller Härte gegen Hasskommentare vorgeht, entfernt zwar vermutlich einigen Unrat aus dem Internet, verursacht aber einen weit grösseren Kollateralschaden: Deutschland, die Zensur-Republik. Schon heute existiert ein Spezialrecht, das die Polizei zwingt, jede Hakenkreuz-Schmiererei zu verfolgen. Es ist fraglich, ob dieser Aufwand den Ertrag rechtfertigt oder ob er am Ende nicht sogar dazu beiträgt, wirklich staatsgefährdende Aktivitäten zu bagatellisieren. Die Deutschen haben die tiefsitzende Neigung, alle politischen Auseinandersetzungen als Rechtsprobleme zu behandeln. Sie sollten sich mehr auf die Stärke ihrer Demokratie und die Selbstreinigungskraft der öffentlichen Meinung verlassen und weniger auf Paragrafen. So viel Vertrauen zu sich selbst dürfen sie inzwischen aufbringen.

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