DER FORTSCHRITT IST SCHWUL + NICHTS ANDERES GILT
Französischer Kulturkampf – Darf man seinen Bauch vermieten?
Der französische Kulturkampf um die Rechte gleichgeschlechtlicher Paare schlägt in den Schulen durch. Dort liest man Bücher wie „Der Tango zweier Väter“ und „Wie macht Fräulein Zazie Pipi?“
06.07.2014, von Jürg Altwegg – FAZ – Im Namen der Menschenrechte wird die globale Vermarktung der Kinder und Frauen vorangetrieben“: In „Le Monde“ hat die Philosophin Sylviane Agacinski ein Pamphlet gegen den „Handel mit den Bäuchen“ und den Verkauf der Körper veröffentlicht. Sie protestiert gegen ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der die französische Justiz rügt, weil sie einem gleichgeschlechtlichen Paar die Adoption eines im Ausland mit medizinischer Unterstützung gezeugten Babys verweigerte. Die europäische Instanz argumentiert mit einem „Recht auf Identität“ und beruft sich auf die „höheren Interessen der Kinder“.
Sylviane Agacinski, Mutter eines Kindes von Jacques Derrida und heute mit dem früheren sozialistischen Premierminister Lionel Jospin verheiratet, kämpft seit Jahren gegen die Leihmutterschaft. Sie vertritt die radikale Gegenposition zur Soziologin Elisabeth Badinter. Die Gattin des Genossen Robert Badinter, der als Justizminister unter Mitterrand die Todesstrafe abschaffte, lehnte die von den Sozialisten eingeführte Bestrafung für Freier von Prostituierten ab. Diese können inzwischen mit einer Geldstrafe von 1500 Euro belegt und in die Umerziehung geschickt werden. Für die Feministin Badinter ist die Prostitution nicht automatisch eine Form der Entfremdung und Ausbeutung der Frauen. Auch die Leihmutterschaft befürwortet sie durchaus als Geschäftsmodell – gegen Bezahlung.
„343 Gesetzesbrecher“ für eine legale künstliche Befruchtung
„Mein Bauch gehört mir“, forderten die Kämpferinnen für die Legalisierung des Schwangerschaftsunterbruchs 1971. Als er verboten war, veröffentlichten 343 prominente Frauen, die sich selbst als „Schlampen“ bezeichneten, ein Manifest, in dem sie zugaben, illegal abgetrieben zu haben. Nach diesem Vorbild haben erst vor kurzem „343 Gesetzesbrecher“ in einem Aufruf bekannt, sie hätten sich im Ausland künstlich befruchten lassen und so ihre Kinderwünsche erfüllt.
Die Aktion war ein Protest gegen die Gerichte, welche die Adoption der illegal gezeugten Babys verweigern, und auch gegen den Rückzieher der Regierung. François Hollande hatte die künstliche Befruchtung für gleichgeschlechtliche Paare im Wahlprogramm und wollte sie mit der „Ehe für alle“ erlauben. Der Widerstand war gewaltig. Monatelang protestierten die Gegner, die sich zur „Demo für alle“ und einem „Französischen Frühling“ zusammenfanden, gegen die Heirat von Homosexuellen, deren juristische Gleichstellung schon von früheren Regierungen weitgehend verwirklicht worden war.
Streichung der Leihmutterschaft aus dem Gesetz
Hunderttausende gingen auf die Straße. Es waren die spektakulärsten Demonstrationen seit den achtziger Jahren, als Mitterrand die katholischen Privatschulen dem staatlichen System einverleiben wollte. Auch Hollande krebste zurück: Die Leihmutterschaft wurde aus dem Gesetz zur „Ehe für alle“ gestrichen – vorübergehend, wie die Opposition unterstellt. Ihr geht auch die erlaubte Adoption für gleichgeschlechtliche Paare zu weit. Als der bekennende Marxist Mitterrand Präsident wurde und die Abschaffung des Kapitalismus ankündigte, hatten die „Neuen Philosophen“ die epochale Wende bereits eingeleitet.
Sie verabschiedeten sich von ihrer stalinistischen Vergangenheit und ihren kommunistischen Überzeugungen. Die Revolution und das Proletariat verschwanden vom politischen Horizont. Der Überwindung des Marxismus folgte die Aufarbeitung der Vichy-Vergangenheit und des französischen Faschismus. In politischer Hinsicht ging es fortan darum, die Totalitarismen im Voraus zu bekämpfen und „ethnische Säuberungen“ zu verhindern. Das geschah gegen die „Wiedergänger Hitlers“, Milosevic und Saddam Hussein.
Wem der eigene Bauch gehört, der darf ihn auch vermieten?
Die kulturelle Antwort auf den Faschismus waren die „Entwurzelung“ und die „Differenz“ – Feminismus, Négritude, regionale Zugehörigkeit, Homosexualität. Die Schoah rückte in den Mittelpunkt der Kultur, die jüdischen Opfer wurden zum Maß der Minderheiten und ihrer „Unterdrückung“. Noch war der Islam kein Thema. Michel Foucault liebäugelte mit der Revolution des Ayatollah Khomeini in Iran, bezeichnete die Gefängnisse als Avantgarde der Gesellschaft und widmete seine letzten Bücher der „Geschichte der Sexualität“, bevor er an Aids starb. In diesen Tagen zelebriert Frankreich Foucaults vierzigsten Todestag, und unweigerlich stellt man sich die Frage, was der philosophische Bürgerschreck wohl zur Ehe der Homosexuellen und zur Leihmutterschaft sagen würde. Wem der eigene Bauch gehört, der darf ihn auch vermieten?
Die antitotalitäre Aufklärung hat Frankreich zu einer Hegemonie der Menschenrechte und Minderheiten geführt, sie prägen den kulturellen Diskurs. Eine Emanzipation kann in den Fundamentalismus münden wie die Befreiung in die Diktatur. Im „Kult der Differenz und Identität“, die sich als ausschließliche verstehen, steckt eine faschistische Versuchung. Dem für Frankreich relativ neuen „communautarisme“ steht die zentralistische, unteilbare und in ihrem Selbstverständnis auch unfehlbare Republik hilflos gegenüber. Aus einem Kopftuch wird eine Staatsaffäre. Gestärkt wurde nur der Front National. Die Linke solidarisierte sich mit den wechselnden Bewegungen der Emanzipation, übte sich in Toleranz und Antirassismus und verbrannte sich dabei ständig die Finger.
Gender-Themen in Schulen spalten
Unter Mitterrand hatte sie sich vom Proletarier und der Revolution in seinem Namen verabschiedet. Auch mit François Hollande ist sie vor allem in dogmatische Rückzugsgefechte verwickelt. Gegen die Staatsverschuldung und die Arbeitslosigkeit bleiben die Sozialisten machtlos. Auf die Utopie vom „neuen Menschen“ und die Volkserziehung haben sie indes nicht verzichtet. In der historischen Flaute mobilisieren sie die ungebrochene Dynamik der Egalité. Ihre neue emblematische Figur ist der Homosexuelle beiderlei Geschlechts. In seinem Namen verändern sie die Gesellschaft.
In ausgewählten Schulen wird ein neues „Abcd der Gleichheit“ gelehrt. Es soll darum gehen, die Stereotypen zu hinterfragen. Von „Gender-Studien“ ist die Rede. Im Frühjahr blieben an vielen Orten die Klassenzimmer leer, weil die Eltern ihre Kinder zu Hause behielten. Katholische Fundamentalisten hatten muslimische Eltern aufgebracht: Bei den Rollenspielen der Gender-Experimente müssten die Knaben Röcke tragen, mit Pornofilmen würde das Masturbieren geübt. Der erfolgreiche Boykottaufruf mündete in einen Kulturkampf um Kinder- und Jugendbücher wie „Der Tango zweier Väter“, „Alle nackt“, „Hans hat zwei Mütter“ oder „Wie macht Fräulein Zazie pipi?“. Die bürgerliche Partei UMP sprach von fünfhundert Titeln, die mit Unterstützung des Kultur- und des Erziehungsministeriums in den Grundschulen zu Propagandazwecken eingesetzt würden.
Unter dem Druck der oftmals hysterischen Reaktionen rudern die Sozialisten nun zurück: Zum Ferienbeginn, so verkündete die Regierung, würden die Experimente zum „Abcd der Gleichheit“ abgebrochen. Gleichzeitig künden sie deren Ausweitung auf alle Klassen an: Zum Schulbeginn im September werden 340 000 Lehrer mit einer „malle pédagogique“ ausgestattet, einem Koffer voller pädagogischen Materials. Die konservativen Politiker werfen den Sozialisten, an die sie die Wähler der urbanen Mittelschichten verloren haben, die Auflösung der Familie vor. In vielen Punkten ist ihre Familienpolitik realistisch, modern, fortschrittlich. Gleichwohl erwecken sie den Eindruck, als ginge es ihnen darum, mit der Umerziehung des Mannes den „neuen Menschen“ als drittes Geschlecht zu erschaffen.
Man erinnert sich auch an die Bücher von Elisabeth Badinter. Eine angeborene „Mutterliebe“ gebe es nicht, sie sei ein anerzogenes Gefühl und wie das Stillen ein „Diskurs der Moderne“ – zur Unterdrückung der Frauen. Das Verhältnis der Geschlechter dekonstruiert sie in „XY – Die Identität des Mannes“. In „Ich bin du“ ist das Patriarchat endgültig zu Ende und mit ihm die Geschlechtertrennung überwunden. Sie skizziert die Evolution zu einem androgynen Menschen.
„Künstliche Befruchtung für alle“
„Künstliche Befruchtung für alle“ forderte nun die Zeitung „Libération“, jenes nach dem Mai 1968 gegründete Kampfblatt aller Minderheiten, in der Schlagzeile zum Manifest der „343 Gesetzlosen“. Jacques Attali hat in einer Rundfunkdiskussion davon gesprochen, dass sich die Frauen dereinst weigern könnten, die Kinder auszutragen – im Namen der Gleichheit und Gleichberechtigung. Medizinisch sei dies vorstellbar. Zeugung im Labor, Sterben durch Euthanasie – alles nach Plan, bestimmt von Menschenhand.
„Eine Welt ohne Religion führt zum Tod der menschlichen Gattung“, fürchtet auch der katholische Philosoph Rémi Brague. Gender-Studien hält er für faszinierend, wenn sie uns aufzeigen, „wie sehr wir von der Geburt an in einem Körper und Geschlecht verwurzelt sind“. Aber eine „Gender-Theorie“ lehnt er ab. Sie suggeriere, dass die geschlechtlichen Unterschiede belanglos seien: „Das hat mehr mit Ideologie als mit Wissenschaft zu tun.“ Auch für Paul Thibaud ist das Ideal der Gleichheit zur Ideologie verkommen: „In ihrem Namen sollen gleichgeschlechtliche und heterosexuelle Paare die gleichen Rechte bekommen. Bei Wahlen müssen gleich viele weibliche wie männliche Kandidaten präsentiert werden.
Unter dem Druck der Egalité werden ständig neue Minderheiten geschaffen: Einwanderer, Behinderte aller Arten und so weiter. Die Schule muss alle Unterschiede verwischen und Diskriminierungen vermeiden. Wenn es verboten ist, Muslime oder Homosexuelle zu ,stigmatisieren‘, ist es gescheiter, nichts zu sagen und nichts zu wissen.“ Sylviane Agacinski hält sich nicht an den weisen Rat. Unmenschlich wäre die Ausweisung der Kinder „mit krimineller Abstammung“, sie könnten später eingebürgert werden. Die Adoption aber würde eine Entwicklung ermöglichen, als deren Avantgarde sie im politischen Kampf missbraucht werden: Die Philosophin nennt sie die „trojanischen Kinder“ der Barbarei.