Der Fall Achille Mbembe : Woran erkennt man wissenschaftlichen Antisemitismus?

MESOPOTAMIA NEWS : TAUTOLOGIEN – WAHRHEIT & FREIE REDE /  „Dann entstünde die für die Meinungsfreiheit unerträgliche Situation, die in der Staatsrechtswissenschaft als das Vetorecht des Störers bezeichnet wird: Das bloße Erheben des Antisemitismusvorwurfs würde ausreichen, um ihn für er-wiesen zu halten.“

Er wolle „die Welt reparieren“, beteuert Achille Mbembe. Wird der Philosoph seine Reputation behaupten  können?

Mit der Absage der Ruhrtriennale ist der Fall Achille Mbembe nicht erledigt: Der afrikanische Philosoph verleugnet sein Engagement für den BDS. Die Klärung der Sache liegt im Interesse der Meinungsfreiheit.

Achille Mbembe wird nicht die Eröffnungsrede der Ruhrtriennale halten. Denn die Ruhrtriennale findet in diesem Jahr nicht statt. Der Aufsichtsrat der vom Land Nordrhein-Westfalen und den Ruhrgebietsstädten getragenen Kultur Ruhr GmbH hat am Mittwoch beschlossen, das Festival, das am 14. August hätte beginnen sollen, wegen der Covid-19-Pandemie abzusagen. Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen hatte die Sondersitzung des Aufsichtsrats einberufen, um den Fall Mbembe diskutieren zu lassen. Wie sie gegenüber dieser Zeitung erklärte, waren „Zweifel“ aufgekommen, ob die Einladung an Mbembe „in Einklang mit der Beschlusslage des Landtags zum Thema BDS“ stehe. Den Antrag mit dem Titel „In Nordrhein-Westfalen ist kein Platz für die antisemitische BDS-Bewegung“ hatte der Landtag am 20. September 2018 unter dem Eindruck der Diskussionen über die Programmpolitik der Ruhrtriennale 2018 angenommen, der ersten der drei von Stefanie Carp verantworteten Spielzeiten.

In der Aufsichtsratssitzung hat die Ministerin die Intendantin gerügt, wie sie dieser Zeitung mitteilte. „Die öffentliche Diskussion der letzten Tage rund um das Thema BDS hat dem Ansehen der Ruhrtriennale erneut Schaden zugefügt. Es wäre die Aufgabe der Intendantin gewesen, dies frühzeitig zu erkennen und geeignete Maßnahmen zu ergreifen – auch und gerade im Lichte der Ereignisse des Sommers 2018.“ Stefanie Carp habe „mit ihrer Kommunikation nicht dazu beigetragen, die Debatte zu versachlichen“. Hält die Ministerin die Zweifel an der Tauglichkeit Mbembes als Hauptredner eines staatlich finanzierten Kulturfestivals in der Sache für begründet oder nicht? Für ein Gespräch darüber steht Frau Pfeiffer-Poensgen nicht zur Verfügung.

Kann man aber eine Debatte versachlichen, indem man sie nicht führt?

Aus der Erklärung der Ministerin darf man schließen, dass sie die Einlassungen der Intendantin, es gehe bei den als anti-semitisch interpretierten Textpassagen um „erlogene, konstruierte Vorwürfe, die keiner Quellenuntersuchung standhalten”, nicht überzeugt haben. Aber es ist müßig, nun in die Auslegung der Auslegung von Auslegungen einzutreten. In dieser Kontroverse wird viel zu viel herumgeredet um den giftigen Brei, so dass die Verteidiger Mbembes den Eindruck verbreiten konnten, die Kritiker seien Wortklauber.

Die Ministerin erklärte, sie stehe uneingeschränkt hinter dem Landtagsbeschluss zum BDS. Dieser Beschluss und der entsprechende Beschluss des Bundestags vom 17. Mai 2019 richten sich gegen eine Bewegung, die ihre Bastionen in der akademischen und intellektuellen Welt des Auslands hat. Wie soll der Kreis der BDS-Unterstützer gezogen werden, die in Deutschland kein öffentliches Geld, keine öffentlichen Räume und so weiter bekommen sollen? Die Frage, ob ein weltweit prominenter Intellektueller wie Achille Mbembe als Antisemit im politischen Sinne der Anti-BDS-Resolutionen einzustufen ist, bezeichnet für die Umsetzung dieser Resolutionen den Ernstfall, an dem sich Kriterien gewinnen lassen müssten — wenn es Kriterien gibt. Mbembe selbst hat sich in den letzten Tagen gegenüber deutschen Medien geäußert, wie zuletzt in einem Artikel in der gestrigen „Zeit”.

Mehrere Bundesländer und der Bund haben Antisemitismusbeauftragte berufen, die besonderes Augenmerk der Form der Judenfeindschaft zuwenden sollen, die sich hinter maßloser Kritik am Staat Israel versteckt. Die nordrhein-westfälische Beauftragte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat sich in der „Jüdischen Allgemeinen” zur Causa Mbembe geäußert. „Bedient man sich antisemitischer Stereotype, wie dies Mbembe in einigen seiner Artikel vorgeworfen wird, wenn er das frühere Apartheidsystem Südafrikas in einen Kontext mit dem Staat Israel, bringt oder mit der Schoa vergleicht, ist es nicht verwunderlich, dass man ihn mit Antisemitismusvorwürfen konfrontiert.”

Leider ist diese Aussage tautologisch: Wer antisemitische Stereotype verwendet, darf sich über den Antisemitismusvorwurf nicht wundern. Abes trifft der Vorwurf zu? Verwendet Mbembe solche Stereotype?

Statt diese Frage direkt zu beantworten, schreibt die frühere Bundesjustizministerin, ihr berichteten „Jüdinnen und Juden auch vom israelbezogenen Antisemitismus und der Anfeindung durch BDS-Unterstützer, die in der jüdischen Community — wie jede Form des Antisemitismus — für Unsicherheit und Bestürzung sorgen”.

Aber wären solche Eingaben allein Grund genug, einem Autor wie Mbembe keine Bühne zu bieten? Dann entstünde die für die Meinungsfreiheit unerträgliche Situation, die in der Staatsrechtswissenschaft als das Vetorecht des Störers bezeichnet wird: Das bloße Erheben des Antisemitismusvorwurfs würde ausreichen, um ihn für erwiesen zu halten.

Felix Klein, der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, hat sich im Gespräch mit dieser Zeitung sehr differenziert zu den inkriminierten Aussagen Mbembes geäußert. Nicht das Vergleichen von Apartheid und israelischer Besatzungspolitik verbietet sich nach Kleins Auffassung, sondern das Gleichsetzen.

Klein brachte eine Art Hermeneutik der Evidenz zur Anwendung: Er zitierte einzelne Sätze, die komisch klängen. Dieses Vorgehen verkennt, dass der Streit um Israel und Palästina überdeterminiert ist: Die wirkungsvollsten Formulierungen sind Formeln, die auf ein Syndrom von Unterstellungen verweisen, Topoi mit Trigger-Charakter. Die drei Wochen zwischen dem offenen Brief des FDP-Landtagsabgeordneten Lorenz Deutsch und der Intervention Kleins nutzte man in dessen Referat im Bundesinnenministerium offenbar nicht, um den Unterbau der Argumentation von Mbembes Traktat zur „Politik der Feindschaft” zu untersuchen.

Klein legt Wert auf die Feststellung, dass er Mbembe nicht die Unterstützung des BDS vorgeworfen habe. Der Historiker Andreas Eckert sieht „Anzeichen für eine Hexenjagd”.

 

Doch die Rolle des Inquisitors käme in diesem Szenario dem Amtsträger Klein zu, und der sagt, um im Bild zu bleiben, die alte Frau führe mit den komischen Sprüchen nichts Böses im Schilde. Zur Katholischen Nachrichten-Agentur sagte Mbembe: „Die Wahrheit ist, dass ich kein Mitglied der BDS-Bewegung bin. Und auch nie eines war.”

In der „Zeit” tut Mbembe so, als ginge es beim Boykott nur um „den Boykott des universitären Austauschs”, den er „nach reiflichem Nachdenken” nicht mehr befürworte. Es ist bekannt, dass die BDS-Bewegung keine Mitgliederlisten führt.

Gegenüber der „Süddeutschen Zeitung” behauptete Mbembe auch, er sei kein “Unterstützer des BDS”.

2014 erschien das Buch „Apartheid Israel: The Politics of an Analogy”, ein Aufsatzband, der gemäß dem Vorwort der Herausgeber den Zweck verfolgte, die akademische Welt für die Sache des BDS zu gewinnen. Achille Mbembe steuerte den ersten Text bei, „On Palestine”.

Die Gattung des Textes ist der Appell: Ausdrücklich verzichtet er auf Argumente, da alle Argumente ausgetauscht seien und nur Scheincharakter hätten. Am Ende steht die Feststellung, die Zeit zur globalen Isolation Israels sei gekommen.

Das deutsche Publikum wird es verschmerzen, dass Achille Mbembe ihm weismachen wollte, er habe mit dem BDS nichts zu schaffen.

 

Aber was sollen die Palästinenser vom Mut und von der Wahrhaftigkeit des Autors halten, der vor sechs Jahren schrieb, die „Besetzung Palästinas” sei „der größte moralische Skandal unserer Zeit” und „der größte Akt der Feigheit des letzten halben Jahrhunderts”?

PATRICK BAHNERS