DEMOKRATISCHES TÜRKEIFORUM : MENSCHENRECHTS-REPORT NOVEMBER 2012

Meldungen im November 2012

Die folgenden Nachrichten wurden im November 2012 vom DTF erfasst (übersetzt). Für externe Links wird keine Verantwortung bezüglich des Inhalts und der Dauerhaftigkeit übernommen. Auf englische und türkische Seiten des DTF sowie auf Seiten der Wikipedia (de, en oder tr) können so genannte Interwiki-Links gesetzt werden.

Inhaltsverzeichnis

Innenminister beschwert sich über zu wenig Auslieferungen    1

Gespaltene Haltung der Regierung zum Hungerstreik      1

Geheimer Zeuge im Ergenekon Prozess: Şemdin Sakık     2

Wer ist Şemdin Sakık?      4

Kommentare zur Aussage von Şemdin Sakık            6

Antworten von Şemdin Sakık auf Vorwürfe gegen ihn       7

Hungerstreiks beendet    7

Das Recht, vor Gericht Kurdisch zu sprechen          8

Wie kam es zur Beendigung des Hungerstreiks?     9

Straffreiheit für die Mörder von Journalisten           10

Kinderrechte in der Türkei        11

Ombudsmann a la Turca 12

 Innenminister beschwert sich über zu wenig Auslieferungen

Nach einer Meldung in Radikal vom 05.11.2012 hat sich der Innenminister İdris Naim Şahin in einer Rede auf der 81. Ordentlichen Vollversammlung von Interpol darüber beschwert, dass von den 399 von der Türkei in den letzten 20 Jahren mit “roter Notiz” gesuchten Personen bisher nur 33 ausgeliefert wurden. Şahin sagte weiter: “Wir wissen dass die Einnahmen aus Aktivitäten organisierter Kriminalität eine wichtige Finanzquelle für Terrororganisationen sind.” In Bezug auf die PKK / KCK sagte er, dass diese Terrororganisation in allen Stadien des Rauschgifthandels von den Schmugglern Schmiergeld kassiere und sowohl beim Vertrieb von Rauschgift als auch bei der Geldwäsche aktiv sei.

Şahin machte darauf aufmerksam, dass der Beschluss des UN Sicherheitsrates aus dem Jahre 2001 mit der Nummer 1373 in Bezug auf der Verbindung zwischen Terror und organisierter Kriminalität wichtig sei.  Er erinnerte auch an die Erfolge der Türkei im Kampf gegen Drogenhandel. So habe es im Jahresbericht 2011 des UN Büros für Drogen und Kriminalität (UNODC) geheißen, dass die Beschlagnahme von Drogen in der Türkei den Balkan zu einem Risikofaktor für den Drogentransport gemacht habe.

Gespaltene Haltung der Regierung zum Hungerstreik

Der Hungerstreik von kurdischen Gefangenen, der am 12. September 2012 von 60 Gefangenen begonnen wurde und Anfang November 2012 von fast 700 Gefangenen mit den Forderungen nach Beendigung der Isolation von PKK Chef Abdullah Öcalen und der Anerkennung der kurdischen Sprache vor Gericht und an den Schulen geführt wurde, hat auf Seite der Regierung zu unterschiedlichen Reaktionen geführt. Während der Regierungschef Erdogan bei seinem Besuch in Berlin von einer Show sprach und meinte, dass nur ein Gefangener im Hungerstreik sei,  sprach sein Justizminister Sadullah Ergin von 683 hungerstreikenden Häftlingen.

Entgegen des Berichts in der Tagesschau vom 5. November 2012 (siehe den Sonderbericht Kurdische Gefangene im Hungerstreik) geht es den Hungerstreikenden nicht um die Freilassung von Abdullah Öcalan, sondern die Möglichkeit, wieder mit seinen Anwälten zu sprechen, die ihn seit dem 27. Juli 2011 nicht mehr auf der Insel İmralı besuchen durften, meistens mit der Begründung, dass das Küstenschiff für den Transport kaputt sei. In der Stellungnahme, die der stellvertretende Premierminister und Regierungssprecher Bülent Arınç abgab (ebenfalls in der Tagesschau zu sehen), sagte er nichts von direkten Verhandlungen mit Abdullah Öcalan und auch nichts davon, dass die Forderungen für den Gebrauch der kurdischen Sprache schon erfüllt seien.

Nach Radikal vom 06.11.2012 sagte Bülent Arınç nach einer Kabinettssitzung u.a.:

”Das Kabinett hat beschlossen, gesetzliche Regelungen für den Gebrauch der kurdischen Sprache zur Verteidigung vor Gericht einzuführen. Dazu wird der Artikel 202 der Strafprozessordnung, in dem es um die “Situationen, in denen ein Dolmetscher anwesend sein muss” geht, um einen Absatz erweitert. Der Premier Recep Tayyip Erdoğan hat den Justizminister Sadullah Ergin angewiesen, einen entsprechenden Entwurf vorzubereiten und im Parlament einzubringen.”

Arınç sagte weiterhin, dass von einer Isolation von Abdullah Öcalan nicht die Rede sein könne. Es gebe nur Probleme zwischen ihm und seinen Anwälten. Im internationalen Recht sei nicht vorgesehen, dass eine rechtskräftig verurteilte Person mit seinen Anwälten über die Verurteilung spreche. Wenn diese Person aber aus anderen Gründen das Gespräch mit einem Anwalt suche, dann könne sie es dem Justizministerium mitteilen und von dort könne ein Gespräch ermöglicht werden.

Geheimer Zeuge im Ergenekon Prozess: Şemdin Sakık

Für die Presse in der Türkei war es eine Riesenüberraschung, als der geheime Zeuge mit dem Decknamen “Deniz”, dessen Aussage als Belastungsmaterial gegen viele Angeklagte in den Ergenekon Verfahren verwendet worden ist, in der 255. Sitzung des Verfahrens vor der 13. Kammer für schwere Straftaten in Istanbul, seine Aussage unter Bekanntmachung seiner wahren Identität machen wollte. Es war Şemdin Sakık, ein ehemaliger Kommandant von bewaffneten Einheiten der PKK, der auch als 2. Mann hinter Abdullah Öcalan gegolten hatte. Über die Sitzung berichtete u.a. Hürriyet vom 06.11.2012.

Auf die Fragen des Richters, die ihm per Videokonferenz in einen extra für geheime Zeugen vorgesehenen Raum gestellt wurden, sagte Şemdin Sakık, dass er ab 1979 ein Sympathisant der PKK gewesen sei. Er habe sich in der Berge zurückziehen müssen  und habe sich nach 1980 der Bewegung angeschlossen. Später habe er erkannt, dass es sich nicht um eine wirkliche kurdische Bewegung handele. Er selber habe beobachtet, dass zuerst Doğu Perinçek Abdullah Öcalan in der Position eines Journalisten besucht habe. Später sei Yalçın Küçük mit ihm in Verbindung getreten. Beide hätten Abdullah Öcalan dabei geholfen, dass er in der Öffentlichkeit wie ein lächelnder Führer erscheinen konnte.

Er, Şemdin Sakık, habe sich von der Organisation trennen wollen und habe nur die Alternative gehabt, sich töten zu lassen oder aber zu fliehen und eingesperrt zu werden. In Bezug auf die Ermordung des Generals Bahtiyar Aydın sagte er, dass dieser Mord der Organisation angelastet werden sollte. Er selber sei zu der Zeit (1993-1994) in der Nähe von Lice gewesen, wo der General ermordet wurde, als er aus einem Hubschrauber stieg. Beide Seiten hörten damals gegenseitig die Funksprüche ab und er habe über Funk gehört, dass der General ermordet wurde.

Er habe seine Gruppe in den Bergen von Lice gefragt, ob sie damit etwas zu tun hätte und sie habe verneint. Er habe sich in den Funk des Militärs eingemischt und gesagt, dass seine Organisation damit nichts zu hätte, Danach seien die Operationen gegen sie eingestellt worden. Dennoch sei ihm der Mord angelastet worden.

Als sich Angeklagte zu Wort meldeten und behaupteten, dass Şemdin Sakık Propaganda mache, verwies der vorsitzende Richter Hasan Hüseyin Özese den Angeklagten Zekeriya Öztürk des Saales.

Von der Verhandlung berichtete auch Radikal vom 07.11.2012. Dort standen weitere Details. So habe sich Şemdin Sakık auch zu dem Ereignis geäußert, das ihm in erster Linie angelastet wird: die Erschießung von 33 Wehrdienstleistenden in der Nähe von Bingöl am 25. Mai 1993. Der Staat habe gewusst, dass er sich (mit seiner Einheit) in der Nähe von Kulp (Diyarbakir) aufgehalten habe. Die Organisation hatte einen einseitigen Waffenstillstand ausgerufen, aber der Staat führte Operationen gegen sie durch, um den Waffenstillstand zu brechen. Der Führer habe “Racheakte” empfohlen. Zu der Zeit wurden Straßensperren errichtet, Personenkontrollen durchgeführt und Minen verlegt. Sie hätten einen Bus angehalten und gesehen, dass darin Soldaten waren. Als Sicherheitskräfte kamen, seien zwei von ihnen erschossen worden. Die Aktion gehe auf das Konto der PKK, aber neben dem Befehl des Führers sei auch wichtig, dass diese Soldaten ohne Vorsichtsmaßnahmen auf die Reise geschickt wurden. Dabei war der Gegenseite bekannt, dass 200 Militante in der Gegend waren. Er, Şemdin Sakık, akzeptiere als Mensch eine Verantwortung an dem Vorfall.

Zur Ermordung des ehemaligen Polizeichefs von Diyarbakır, Gaffar Okan am 24. Januar 2001 sagte Şemdin Sakık, dass er nicht wisse, ob Ergenekon damit etwas zu tun habe. Jedoch habe ihm ein mit ihm inhaftierter Führer von Hizbullah versichert, dass sie damit nichts zu tun hätten.

Wer ist Şemdin Sakık?

Der als 2. Mann der PKK bekannte Şemdin Sakık wurde mit seinem Bruder Arif Sakık auf irakischem Gebiet am 13. April 1998 gefasst und in die Türkei gebracht. Am 20. Mai 1999 wurden die beiden Brüder zum Tode verurteilt. Nach der Abschaffung der Todesstrafe wurden ihren Strafen in lebenslange Haft verwandelt. Ankara Meydanı vom 07.11.2012 machte mehr Angaben, als sie in der deutschen Wikipedia zu Şemdin Sakık zu finden sind. Ein Großteil der Meldung vom 7. November 2012 stammt aus einer Nachricht bei Hürriyet vom 17.04.1998.

Diesen Zeitungsberichten zufolge wurde Şemdin Sakık 1959 im der Provinz Muş im Dorf Zengök geboren. Sein Vater hieß Sabri und seine Mutter Kevi. Sein Vater war mit drei Frauen verheiratet und daher hat er 19 Geschwister. Einer seiner Brüder ist der BDP Abgeordnete für die Provinz Muş, Sırrı Sakık. Seine Schwester Adife Sakık wurde als PKK Mitglied 1985 im Gebiet von Batman (Kreis Sason) “tot festgenommen”. Das gleiche Schicksal erlitt sein Bruder Abdülsenat Sakık im Gebiet von Gaziantep.  Sein Bruder Akif wurde mit ihm zusammen als PKK-Militanter verhaftet und verurteilt. Sein Bruder Seyyar Sakık soll unter dem Decknamen Karker innerhalb der PKK aktiv sein.

Dem Vernehmen nach soll der Vater von Şemdin Sakık dessen Mutter und ihre Kinder vernachlässigt haben. Deswegen habe er bei seiner Stiefmutter Fatma in Muş gewohnt, um dort zur Schule zu gehen. Er habe es bis zum Abschluss des Gymnasiums gebracht und danach habe er seiner Mutter im Dorf beim Tabakanbau geholfen. Als er die Tochter seines Onkels Abdülhalik Sakık heiraten wollte, habe dieser ein hohes Brautgeld (150.000 TL), Schmuck und den Bau eines Hauses verlangt. Da sein Vater ihm weder ein Platz für den Hausbau noch das Brautgeld geben wollte, habe Şemdin Sakık seinen Vater mit einem Schuss verletzt. Dieser habe drei Leute auf ihn angesetzt, um ihn zu töten. Deswegen sei er “in die Berge gezogen”. Im Jahre 1980 habe er sich dann auf Anregung von Hüseyin Durmuş der Organisation angeschlossen.

In der Zeit seines Einsatzes als Kommandeur von bewaffneten Einheiten der PKK wurde Şemdin Sakık zu einer legendären Figur. In wenigen Jahren soll er 18 Fallen und Hinterhalten der Armee entkommen sein.  Anders als Öcalan, der aus einem sicheren Domizil in Damaskus Offensiven verkündete, galt Sakık als Frontkämpfer. Zu seinem zweifelhaften Ruhm trug auch seine Härte gegen sich selbst bei. Nachdem er in einem Gefecht mit türkischen Streitkräften an der Hand getroffen worden war, soll er die von einem Finger verbliebenen Hautfetzen und Knochen mit einem Messer abgetrennt haben – weil der Stummel ihn beim Freiheitskampf behinderte. Danach war Sakık als “Zeki (= klug, schlau) Fingerlos” bekannt.

In der deutschen Wikipedia steht:

”In vielen „Provinzen“ der PKK war Şemdin Sakık Provinzverantwortlicher. Er war verantwortlicher Kommandeur jener PKK-Einheit, die im Jahre 1993 in der Nähe von Bingöl einen Bus mit unbewaffneten Armeerekruten stoppte und 33 von ihnen tötete. Über die Kriegsführung zerstritt er sich mit Abdullah Öcalan. Zur Strafe wurde Sakık nach Amanoslar (Berge bei Hatay) gesandt, verließ die Region jedoch wieder und kehrte nach Damaskus zu Öcalan zurück. Dort wurde er aller Ämtern enthoben. Er wurde durch die PKK festgesetzt und später in den Nordirak gesandt. Seine schriftliche Selbstkritik umfasste 80 Seiten. Im März des Jahres 1998 entfloh er der PKK und flüchtete zu Kräften der Demokratischen Partei Kurdistans. Einen Monat später wurde er auf dem Weg zu Masud Barzani mit seinem Bruder Akif durch türkische Sondereinsatzkräfte im Nordirak gefasst.”

Zu ergänzen ist:

• Bei der Operation im Nordirak war der als “Yeşil” (Grün, Decknamen) bekannte Mahmut Yıldırım im Einsatz. Das bestätigte der Geheimdienst (tr: Millî İstihbarat Teşkilatı) Jahre danach.

• Şemdin Sakık soll 1997 viele Monate (evtl. ein Jahr) von der PKK “verhört” worden sein (war in Damaskus festgesetzt). In Handschellen soll er von Syrien in den Nordirak gebracht worden sein, wo ihm die Flucht zur PDK gelang. Von ihnen sei er an die Türkei “verkauft” worden. Unter dem Vorwand, ihn zum Führer der Partei zu bringen, hätten sie ihn und seinen anderthalb Jahre zuvor zur PDK geflüchteten Bruder einer Einheit aus der Türkei “übergeben”.

Auf den Seiten des DTF sind folgende Meldungen zu finden:

•Wochenbericht 02/2000: Ende Dezember 1999, Todesstrafe bestätigt, Anwendung des “Reuegesetzes” abgelehnt. Die Todesstrafe von Arif Sakık, wurde wegen mangelnder Sachaufklärung zurück verwiesen.

•Wochenbericht 50/2004: Der Menschenrechtsausschusses im Parlament besuchte am 3. Dezember 2004 auch den in Diyarbakır einsitzenden Arif Sakık. Er habe behauptet, dass es sich bei einem Massengrab wohl um Opfer einer organisations-internen Hinrichtung handele.

•Wochenbericht 52/2004: Cumhuriyet vom 22.12.2004, die parlamentarische Menschenrechtskommission sagte zu den Massengräbern im Kreis Kulp (Diyarbakır):”Wir sind zu der Überzeugung gekommen, dass diese Personen zur Zeit der Operation gegen Şemdin Sakık ums Leben kamen.”

Im Jahresbericht der TIHV für das Jahr 1998 sind auf den Seiten 76-77 (türkische Ausgaben) weitere Details zu lesen:

Während der Vernehmung von Şemdin Sakık (ohne Kontakt zur Außenwelt) im April 1998 publizierten vor allem die Tageszeitungen Hürriyet und Sabah angebliche Details seiner Aussage bei der Polizei.  Darin wurde sowohl der Menschenrechtsverein IHD in der Person des Vorsitzenden Akın Birdal, die Kurdenpartei HADEP und andere Organisationen sowie einzelne Journalisten und Künstler beschuldigt. Dazu gehörten Politiker wie Abdülmelik Fırat, Salim Ensarioğlu, Fethullah Erbaş und Leyla Zana, Zeitungen wie Ülkede Gündem, Evrensel, Özgür Halk und Demokrasi, Journalisten wie Doğu Perinçek, Mehmet Ali Birand, Mahir Kaynak und Cengiz Çandar. Vor der Staatsanwaltschaft sagte Şemdin Sakık, dass er viele dieser Namen nur genannt habe, weil darauf bestanden wurde. Kurz darauf, am 12. Mai 1998 wurde Akın Birdal das Opfer eines Attentats, das er nur knapp überlebte.

Kommentare zur Aussage von Şemdin Sakık

Die ersten Reaktionen auf die Aussage von Şemdin Sakık gipfelten in der Überschrift “Die Streitkräfte (TSK) sind angeklagt – die PKK ist Belastungszeuge”. Vielfach wurde die Meinung geäußert, dass die Aussage eines Terroristen keinen Wert vor Gericht haben dürfe. Etwas detailliertere Kommentare beschäftigten sich mit der Frage, welchen Wert die Aussage von ihm habe. In Hürriyet vom 08.11.2012 schrieb Mehmet Ali Birand u.a.:

“Es gibt zwei Ansichten. Einige vertreten die Meinung, dass man Şemdin Sakık nicht trauen kann, weil er der 2. Mann bei der PKK war und fast alles nur vom Hören-Sagen berichtet. Andere sagen, dass seine Informationen wichtig sind, weil es dafür keine bessere Quelle gebe. Die Frage aber ist, ob man ihm trauen kann. Gehe ich von dem Andıç Skandal aus,  dann muss ich Şemdin Sakık als aufrichtigen Menschen bezeichnen, denn er hat die Lüge aufgedeckt, ohne dazu gezwungen zu sein oder sich Vorteile zu verschaffen, wenn er es nicht tut. Aber im August 2012 hat er einen Brief an die Zeitung Akit geschrieben,  den ich erst nicht wichtig nahm. Aber wenn ich den Inhalt des Briefs und seine jetzige Aussage gemeinsam betrachte, dann tritt die Eigenartigkeit der Situation zutage. In dem Brief werden Hasan Cemal, Cengiz Çandar, Yasemin Çongar, Ahmet und Mehmet Altan beschuldigt, Öcalan besucht zu haben, weil sie sich Vorteile davon versprachen.

Dabei haben Yasemin Çongar, Ahmet und Mehmet Altan Öcalan gar nicht besucht. Die Unterstellungen gegen Hasan Cemal und Cengiz Çandar sind unhaltbar. An der Aussage im Gerichtssaal von Silivri habe ich auch nichts Konkretes entdecken können. Solche Dinge sollten in keiner Anklageschrift stehen. Mit dieser Aussage wird der Kern des Ergenekon Verfahrens zwar nicht gänzlich ausgehöhlt, aber sie wird die Köpfe weiter verwirren. Vielleicht möchte man ja, dass bei dem Verfahren nichts heraus kommt.”

Ali Bayramoğlu nannte seinen Kommentar in der religiös ausgerichteten Tageszeitung Yeni Şafak vom 08.11.2012 “Politische Pornografie”. Darin schrieb er u.a.: “Da stellt sich jemand, der mit dem ‘tiefen Staat’ zusammen gearbeitet hat, in einem der ernstesten Verfahren des Landes hin und beschuldigt Zeitungen, Journalisten und Intellektuelle. Dies ist eine politische Pornografie, mit der denkende Menschen und auch Gedanken selber kriminalisiert werden. Şemdin Sakık ist ein gewissenloser Mensch. Auf wessen Veranlassung er den Befehl gab, 33 Soldaten zu ermorden, ist immer noch unklar. Er half dem Generalstab, das Memorandum vorzubereiten. Im Anschluss wurde ein Anschlag auf Akın Birdal verübt, Journalisten verloren ihre Arbeit und ihr Ansehen. Dieser Mann hat sich mit schießwütigen Blättern wie Haber Vaktim zusammen getan und wird nun für ‘politische Vorgänge’ benutzt. Leider geben sich viele Zeitungen dazu her, diese Pornografie zu verbreiten.”

Antworten von Şemdin Sakık auf Vorwürfe gegen ihn

In einer Nachricht bei Bianet vom 07.11.2012 wurde eine Reaktion auf die Kommentare zur Aussage von Şemdin Sakık veröffentlicht.

Sakık sagte dazu: “Ich bin kein Terrorist mehr, höchstens ein ehemaliger Terrorist. Ich habe dafür gesorgt, dass Öcalan aus Damaskus hergebracht wurde. Ich habe Anträge gestellt, um in den Genuss des Reuegesetzes zu gelangen. Ich habe im Gefängnis 16 Bücher geschrieben (zwei davon über Öcalan), in dem es um den Schaden geht, den diese Gewalt den Kurden und den Menschen in der Türkei zugefügt hat.

“PKK Mitglieder haben Abitur oder waren auf der Uni. Die Frage ist, warum so gut ausgebildete Menschen zur PKK gehen? Niemand fragt, wie 50.000 gebildete Menschen diesen Weg einschlagen konnten. Darauf hat auch Öcalan keine Antwort. Für ihn galt ‘wir haben das Recht, eine Bombe unter unseren Feinden in die Luft gehen zu lassen’. Er sagte, ‘wenn logistische Unterstützung fehlt, dann geht in die Dörfer der Dorfschützer und holt euch alles, bis zu ihren Hühnern’.

“Wenn die Dinge im Gefängnis von Diyarbakır nach dem 12. September (1980) nicht gewesen wären, hätte die PKK sich nicht entwickeln können. In jeder Phase, wo Gewalt zunahm, hat die PKK an Kraft gewonnen. Als unter Clinton und Obama Gewalt abnahm, hat die PKK an Kraft verloren… Nachdem Öcalan festgenommen wurde, hat er aus Angst um sein Leben alles erzählt, was er wusste. Mich haben sie nach den Dorfbewohnern und Hirten gefragt, die mir halfen. Aber ich habe die Namen der Leute, die mir vor Jahren halfen, nicht verraten.”

Hungerstreiks beendet

Siehe auch: Kurdische Gefangene im Hungerstreik

Am 67. Tag des Hungerstreiks von kurdischen Gefangenen mit den Forderungen a) Aufhebung der Isolationshaft von Abdullah Öcalan b) Zulassung der kurdischen Sprache vor Gericht und c) Schulbildung in der Muttersprache haben praktisch alle Beteiligten ihn am 18. November 2012 für beendet erklärt. Wie Milliyet vom 17.11.2012 meldete, hatte der PKK Führer Abdullah Öcalan am Tage zuvor seinem Bruder Mehmet Öcalan, der ihn besuchen durfte, mitgeteilt, dass er möchte, dass die Hungerstreiks so bald wie möglich beendet werden. Zu den einzelnen Gefängnisse wurde folgendes gemeldet:

•Die in den Gefängnissen Buca 1 und 2 sowie im Gefängnis von Aliağa Şakran einsitzenden 520 Gefangenen teilten über ihre Anwälte noch am 16. November 2012 mit, dass sie ihren Hungerstreiks beendet hätten.

•Im F-Typ Gefängnis von Kocaeli wurden von 30 Männern, die sich im Hungerstreik befanden, sieben ins Krankenhaus gebracht.

•Im Gefängnis von Gebze befanden sich 6 Frauen im Hungerstreik.

•Aus dem E-Typ Gefängnis von Siirt wurden fünf Hungerstreikende ins Krankenhaus verlegt. 19 weitere sollen folgen.

 

•In Giresun sagte der Staatsanwalt Gürmen İlhanoğlu, dass die im E-Typ Gefängnis am Streik beteiligten 31 Gefangene ihren Hungerstreik beendet haben.

Zu den Einzelheiten des Gesprächs von Mehmet Öcalan mit Abdullah Öcalan meldet die Nachrichtenagentur ANF vom 18.11.2012 u.a.: Das Gespräch mit Abdullah Öcalan, dem seit dem 27. Juli 2011 ein Treffen mit seinen Anwälten verweigert wird, dauerte ca. 45 Minuten.

Als Abdullah Öcalan seinen Bruder fragte, warum er gekommen sei, habe der geantwortet, dass er das Recht auf eine Besuch alle zwei Wochen habe und es darum gehe, dass nur der Leiter der PKK in der Lage sei, den andauernden Hungerstreik zu beenden. Als Erstes sagte A. Öcalan, dass es nicht die Sache der Gefangenen sei, einen Hungerstreik durchzuführen. Das hätten die Leute “draußen” machen müssen. Dann beauftragte er seinen Bruder der Öffentlichkeit mitzuteilen, dass der Streik sein Ziel erreicht habe und sobald als möglich beendet werden solle. Dann fügte er noch hinzu, dass seine Gesundheit nicht so wichtig sei. Er denke viel darüber nach, wie die Entwicklung voran gebracht werden könne. In seiner Erklärung an die Öffentlichkeit machte Mehmet Öcalan darauf aufmerksam, dass es seinem Bruder gut geht. Nur sein Haar sei leicht ergraut.

 

Die im Dienst der Zeitung Hürriyet heraus gebrachte Ausgabe von BBC Türkce meldete weiterhin, dass der stellvertretende Ministerpräsident Bülent Arınç seine Zufriedenheit über ein Ende des Hungerstreiks zum Ausdruck brachte und betonte, dass jederzeit über berechtigte Forderungen gesprochen werden könne. Am 58. Tag des Hungerstreiks hatten sich die BDP Abgeordneten Emine Ayna und Özdal Üçer in einen Hungerstreiks begeben. Dem folgten am 60. Tag fünf weitere Abgeordnete und der Bürgermeister von Diyarbakır, Osman Baydemir. Haber 3 vom 18.11.2012 meldete, dass auch die Abgeordneten Gültan Kışanak, Aysel Tuğluk, Sırrı Süreyya Önder, Sebahat Tuncer, Adil Kurt und der Bürgermeister Osman Baydemir den Hungerstreik, den sie in Diyarbakır führten am 18.11.2012 um 11 Uhr beendet haben.

Das Recht, vor Gericht Kurdisch zu sprechen

Nicht nur durch den Besuch des Bruders, mit dem die “Isolation” von Abdullah Öcalan unterbrochen wurde, sondern auch an einem anderen Punkt, der Verteidigung vor Gericht in kurdischer Sprache, war die Regierung den Hungerstreikenden entgegen gekommen. Mit einem Gesetzesentwurf, der Änderungen am Artikel 202 der Strafprozessordnung vorsieht, soll es Angeklagten ermöglicht werden, sich vor Gericht in der kurdischen Sprache zu äußern.  Der Entwurf war am 12. November 2012 eingebracht worden und im Rechtsausschuss und der Menschenrechtskommission positiv beschieden worden. In den ersten drei Absätzen des Artikel 202 TStPO wird bestimmt, dass Angeklagte, Geschädigte und Zeugen, die ihr Anliegen nicht in ausreichendem Maße in der türkischen Sprache ausdrücken können, sowohl vor Gericht als auch im Zuge der Ermittlungen einen vom Gericht oder der Staatsanwaltschaft zu bestimmenden Dolmetscher gestellt bekommt. Der Zusatz (Absatz 4) zu diesem Artikel nun lautet: “Ein/e Angeklagte/r, der/die sein Anliegen in der türkischen Sprache vorbringen kann, kann sich bei der Verlesung der Anklageschrift, den Plädoyers und eigenen mündlichen Einlassungen eines Dolmetschers bedienen, wenn er/sie meint, sich in dieser Sprache besser ausdrücken zu können. Er/sie sorgen für die Anwesenheit eines Dolmetschers. Das Recht darf nicht dazu missbraucht werden, dass Verhandlungen verzögert werden.”

 

Das Kurdische Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit (Civaka Azad) hat in einem Artikel vom 16.11.2012 den Gesetzesentwurf kritisiert. In dem Artikel heißt es u.a.: “Es werden ausschließlich für diejenigen die Dolmetscherkosten vor Gericht übernommen, die der türkischen Sprache überhaupt nicht mächtig sind. Alle anderen, die zumindest ein paar Worte Türkisch sprechen können, müssen ihre Dolmetscherkosten selbst tragen, wenn sie darauf beharren, sich in einer anderen Sprache verteidigen zu wollen. Den meisten kurdischen Angeklagten dürfte die Aufbringung dieser Kosten vermutlich schwerfallen, wodurch sie von diesem neuen Recht ausgeschlossen wären. Doch es bleibt nicht allein bei dieser Einschränkung. Den Angeklagten wird bloß an zwei Stellen das Recht auf eine kurdischsprachige Verteidigung gewährt: Einmal nach Verlesung der Anklageschrift und das zweite Mal beim Abschlussplädoyer…” Das ist natürlich nicht korrekt. Personen, die kein Türkisch können, wird ein Dolmetscher (allerdings wiederum auf die zentralen Phasen der Verhandlung beschränkt:

 

Anklageschrift, Plädoyer und -von Civaka Azad vergessen- bei eigenen Einlassungen, das ist die eigene Aussage und das Schlusswort; DTF) auf Staatskosten zur Seite gestellt. In der Praxis wird ein solches Gesetz in erster Linie nicht an der Kostenfrage scheitern. In der Vergangenheit haben sich immer wieder Verteidiger als Dolmetscher angeboten. Sie würden einen Moment lang ihre Rollen tauschen, aber kein zusätzliches Geld verlangen. Fraglich ist hingegen, ob die von einem Angeklagten “geladenen” Dolmetscher fachlich kompetent und ausreichend neutral sind. Ein Anwalt könnte zum Beispiel die Äußerungen eines Mandanten in die seiner Ansicht nach korrekte juristische Form bringen. Die wichtige Frage aber ist, ob die Angeklagten in den unzähligen KCK Verfahren, die bisher immer auf den Gebrauch der kurdischen Sprache bestanden haben, die neue Regelung akzeptieren werden und so die Verfahren aus einer Sackgassen führen könnten.

 

Wie kam es zur Beendigung des Hungerstreiks?

In einem Artikel von Ömer Şahin berichtete Radikal vom 18.11.2012, wie es zu der “Vereinbarung” kam, die den Hungerstreik beendete. Hier wurde von “gut unterrichteten Kreisen” berichtet, dass im Vorfeld des Besuches durch den Bruder drei Mal eine Delegation aus Ankara (vom Geheimdienst MIT) auf die Insel İmralı fuhr, um Abdullah Öcalan zu bitten, dass er eingreifen solle, damit die Hungerstreiks beendet werden. Im Unterschied zu Leyla Zana, die meinte, dass nur der Premierminister die Hungerstreiks beenden könne, setzte die Regierung auf Abdullah Öcalan. Es war auch davon die Rede, dass die Drohung von Erdoğan, die Todesstrafe wieder einzuführen, dazu diente, Öcalan unter Druck zu setzen. Nachdem Öcalan seine Bereitschaft bekundet hatte, für ein Ende der Hungerstreiks einzutreten, bat die BDP den Justizminister darum, einen Besuch des Bruders Mehmet Öcalan zu erlauben. Dieser konnte dann mit dem reparierten Küstenschiff mit Genehmigung des Justizministers auf die Insel fahren und er kam mit der erhofften Botschaft zurück.

 

Straffreiheit für die Mörder von Journalisten

Im Rahmen eines UN Planes von Aktionen zur Sicherheit von Journalisten und dem Phänomen von Straflosigkeit (en: UN PLAN OF ACTION ON THE SAFETY OF JOURNALISTS AND THE ISSUE OF IMPUNITY)  hat das unabhängige Kommunikationsnetzwerk BIA eine Artikelserie zu ermordeten Journalisten in der Türkei gestartet. Die Artikel sind momentan nur in Türkisch zu finden:

•Emel Gülcan: Öldürülen 20 Gazetecinin Hikayeleri bianet’te (16. November 2012)

•Emel Gülcan: 20 Gazeteci 20 Hikaye (19. November 2012)

•Emel Gülcan: Hatip Kapçak Cinayeti (19. November 2012)

•Helmut Oberdiek: Bundan 20 Yıl Önce (19. November 2012)

•Emel Gülcan: 20 Journalists 20 Stories (20. November 2012)

•Emel Gülcan: Halit Güngen Cinayeti (20. November 2012)

•Naci Sapan: OHAL’de Gazetecilik; Ne Yapabilirdik? (20. November 2012)

•Emel Gülcan: Namık Tarancı Cinayeti (21. November 2012)

•Turgay Olcayto: “Faili Meçhul”ler ve Cezasızlık (21. November 2012)

•Emel Gülcan: Cengiz Altun Cinayeti (22. November 2012)

•Recep Kavuş: “Cengiz Hayatından, Ben Kalemimden Oldum” (22. November 2012)

•Yurdusev Özsökmenler: Gazetenizi Yine Engelleyemedik Diye Bağırdılar! (22. November 2012)

•Emel Gülcan: Nazım Babaoğlu’nun Kaybedilişi (23. November 2012)

•Yavuz Önen: Siyasi Cinayetler-Cezasızlık (23. November 2012)

•Emel Gülcan: Ferhat Tepe’nin Kaçırılışı (24. November 2012)

•Hüsnü Öndül: Cezasızlık, Hukukun Üstünlüğü ve Yaşa/Türkiye Davası (24. November 2012)

•Emel Gülcan: Safyettin Tepe Cinayeti (25. November 2012)

•Ahmet Abakay: Demokrasi Yoksa Suçlar Ve Suçlular Cezasız Kalır (25. November 2012)

•Emel Gülcan: Hüseyin Deniz Cinayeti (26. November 2012)

•Serap Işık: Devlet Terörünün Cezasız Kalmadığı Bir Ülke Düşünebilir(miy)iz? (26. November 2012)

•Emel Gülcan: Kemal Kılıç Cinayeti (27. November 2012)

•Özcan Kılıç: Min Dit (27. November 2012)

•Emel Gülcan: Hafız Akdemir Cinayeti (28. November 2012)

•Hülya Üçpınar: Yüzleşmek İçin Birkaç İyi İnsan Gerekli (28. November 2012)

•Emel Gülcan: Mehmet Sait Erten Cinayeti (29. November 2012)

•Eren Keskin: Neden Özgür Gündem’deyim? (29. November 2012)

•Emel Gülcan: Musa Anter Cinayeti (30. November 2012)

•Saniye Karakaş: Devlet Politikası Olarak Cezasızlık (30. November 2012)

Anmerkung: Die englische Wikipedia hat eine Seite, List of journalists killed in Turkey, auf der die seit Beginn des 20 Jahrhunderts in der Türkei ermordeten Journalisten aufgeführt sind.

Die Serie wird im Monatsbericht Dezember 2012 fortgeführt.

 

Kinderrechte in der Türkei

Yeni Özgür Politika berichtet am 21.11.2012 über Äußerungen von Mehmet Güzel, Mitglied der Kommission Kinderrechte im IHD, zum Welttag der Kinderrechte, dem 20. November, Jahrestag der Unterzeichnung der UN-Konvention der Kinderrechte zur Lage in der Türkei.

 

Mehmet Güzel sagte, dass in den letzten 24 Jahren 563 Kinder ermordet wurden, 183 davon in der Regierungszeit der AKP. Güzel wies auf die Praktiken in den Gefängnissen hin und gab zu bedenken, dass die Zahl der Inhaftierungen von Kindern sich in letzter Zeit erhöht habe. Die Anwaltskammer Diyarbakır verwies auf die Vorbehalte, die darüber hinaus vor allem bei internationalen Abkommen gemacht wurden, und erklärte, kurdische Kinder würden weiterhin des Rechts auf Muttersprache beraubt. Im Prozess bezüglich des ermordeten kurdischen Jungen Uğur Kaymaz vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof ist der türkische Staat seit 8 Monaten die Antworten schuldig…Weiter machte er folgende Angaben:

10 Kinder in den ersten 6 Monaten 2012 getötet

In der Regierungszeit der AKP sind 183 Kinder in der Türkei ums Leben gekommen. In den ersten 6 Monaten dieses Jahres wurden 10 Kinder ermordet. Von 1988 bis zu den ersten 9 Monaten des Jahres 2012 verloren 561 (korrekt: 563) Kinder ihr Leben bei Gefechten, durch Bomben, mit denen sie auf Müllhalden spielten, durch Mörserraketen, wie sie in Ceylan Önkol von Polizeistationen abgeschossen wurden, oder wie Uğur Kaymaz, der mit 13 Kugeln erschossen wurde.

 

Güzel gibt an, dass innerhalb der letzten 24 Jahre 563 Kinder getötet wurden und listet die Todesfälle von Kindern aus dem IHD-Bericht wie folgt auf (jeweils in Spalten für 8 Jahre):

1988  1         1996  7         2004  12

1989  2         1997  7         2005  12

1990  21       1998  5         2006  23

1991  15       1999  12       2007  9

1992  117    2000  3         2008  17

1993  79       2001  1         2009  21

1994  99       2002  18       2010  16

1995  11       2003  12       2001  33

Summe          345                65                   143

 

2002 kam die AKP an die Regierung. In den ersten 6 Monaten des Jahres 2012 starben 10 Kinder.

Festnahmen von Kindern

IHD-Berichten zufolge wurden 2010 286 Kinder festgenommen, 95 wurden inhaftiert; 2011 wurden 739 festgenommen und 214 inhaftiert, in den ersten 6 Monaten 2012 waren es 122 Festnahmen und 34 Inhaftierungen. Insgesamt wurden also 2010, 2011 und in den ersten 6 Monaten 2012 147 [korrekt: 1147] Kinder festgenommen und 343 inhaftiert.

Bericht des Komitees für Kinderrechte der UN

Im Teil D des Berichtes des Komitees für Kinderrechte der UN vom 20.07.2012 zur Lage der Kinderrechte in der Türkei steht im Abschnitt über “Bürgerliche Rechte und Freiheiten” (Art. 7,8,13-17, 19 und 37 (a) der Konvention unter Absatz 42 des Unterabschnitts “Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe”:

 

Das Komitee drückt seine tiefe Besorgnis über Berichte von Misshandlung und Folter von Kindern aus, insbesondere von kurdischen Kindern, die an politischen Versammlungen und Aktivitäten teilgenommen haben, in Gefängnissen, Polizeistationen, Fahrzeugen und auf der Straße. Es ist besonders besorgt über die Zahl an Berichten über Kinder, die in den Regionen im Südosten und Osten getötet wurden und die Fälle von Selbstmord, die von Kindern in Haft verübt werden. Den kompletten Bericht finden Sie auf der Homepage der UN.

Ombudsmann a la Turca

Murat Yetkin berichtete in Hürriyet Daily News vom 03.12.2012 über die Wahl des ersten Ombudsmannes der Türkei am 27. November 2012. Mehmet Nihat Ömeroğlu, ein pensionierter Richter am Kassationshof (Yargıtay auf Türkisch) war der Kandidat der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) und erhielt in der vierten Wahlrunde die einfache Mehrheit; nur 258 von 326 Abgeordneten der AKP wählten ihn. Die Hauptoppositionspartei, die Republikanische Volkspartei (CHP) nahm an der Wahl nicht teil und forderte ihn gleich nach der Wahl zum Rücktritt auf.

 

Gründe für den Aufruf zum Rücktritt waren: Ministerpräsident Tayyip Erdoğan war einer der Trauzeugen bei der Hochzeit des Sohnes von Ömeroğlu, der eine überraschend gute Karriere in einen Job bei Turkish Airlines gemacht hatte. Könnte Ömeroğlu unparteiisch sein, wenn er eine Entscheidung in einem Fall mit Bezug auf das Unternehmen machen müsste? Cemil Çiçek, der gegenwärtige Parlamentssprecher, hatte während seiner Zeit als Justizminister Ömeroğlu als seinen Unterstaatssekretär empfohlen. Könnte Ömeroğlu als Ombudsmann unparteiisch bleiben, wenn sich eine Klage gegen Cicek richten würde?

 

Dies sind eher technische Einwände der Opposition gegen Ömeroğlus neuen Posten. Ein dritter Einwand hat viel mehr Reaktionen in den Medien und bei Menschenrechtsverteidigern hervorgerufen. Ömeroğlu war unter den Richtern des Kassationshofes, die am 11. Juli 2006 die gegen den türkisch-armenischen Journalisten Hrant Dink verhängte Haftstrafe wegen “Verunglimpfung des Türkentums” bestätigten. Das Gesetz wurde später auf der Grundlage der Freiheit der Meinungsäußerung abgemildert und das Urteil wurde ausgesetzt, aber Dink wurde am 19. Januar 2007 durch einen rechtsgerichteten Attentäter ermordet.

Als Ömeroğlu von Deniz Zeyrek von der Zeitung Radikal über dieses Urteil befragt wurde, sagte Ömeroğlu, dass er bei seiner Entscheidung nicht gewusst habe, daß Hrant Fırat Dink (sein vollständiger Name) Hrant Dink gewesen sei, über den alle Medien berichteten. Diese Erklärung überzeugt nicht viele. Dinks Bruder Hosrof sagte nach der Wahl zu Reportern: “Dieses Urteil war die Vorlage für die Hinrichtung meines Bruders.” Aber dies war noch nicht alles. Am nächsten Tag nominierte eine parlamentarische Kommission Muhittin Mıhçak, einen anderen Richter von den 18 Richtern des Kassationshofes, die das Urteil gegen Dink bestätigt hatten.

Ömeroğlu, Mıhçak und ihre Kollegen werden ihre Arbeit am 29. März 2013 beginnen. Sie werden ein Team von Inspektoren und Experten (einen Büro-Apparat von Hunderten) bilden, das mit ihnen zusammen arbeitet. Und dies unter Mutmaßungen, dass das lange erwartete Ombudsmann-System, das auch eine Angelegenheit bei der Harmonisierung des türkischen Rechts mit dem der Europäischen Union war, bei der Geburt gestorben ist.

 

Fethiye Cetin äußerte sich am 01.12.2012 im BIA Nachrichtenzentrum:

 Man muss den Oberprüfer Ömeroğlu fragen: Wenn Sie nach dem Dink Urteil nicht entscheiden können, ob Ihr Urteil richtig war, wie kann ich da noch an die Worte der “Überlegenheit des Rechts, die Freiheiten, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit” glauben? Zum Einen hat der EGMR in seinem Urteil Dink/Türkei auf der einen Seite ernste Bedenken gegen die Vorhersehbarkeit des Gesetzes angemeldet, aber an diesem Punkt keine Verletzung festgestellt, (aber) das Urteil des Kassationshofs zu Hrant Dink als eine Verletzung des Artikel 10 der EMRK bezeichnet.

Zum zweiten versucht Ömeroğlu sich seiner Verantwortung zu entziehen, indem er sie dem Gesetzgeber aufbürdet. Aber als die Akte zu Ömeroğlu kam, kam sie mit dem Gutachten, der Rechtsansicht des Dozenten Dr. Sami Selci und der Zustellung der Staatsanwalt am Kassationshof. In diesen drei sehr wichtigen Dokumenten wurde auf wissenschaftlicher Grundlage und in Einzelheiten dargelegt, dass die Artikel von Hrant Dink keine Straftat bilden.

Drei Mitglieder des Lehrstuhls an der juristischen Fakultät der Universität Istanbul, der lange Jahre am Kassationshof arbeitende Dozent Dr. Sami Selçuk und Ömer Faruk Eminağaoğlu, der die Zustellung und den Widerspruch der Staatsanwaltschaft am Kassationshof schrieb und wiederum sechs Richter in der Vollversammlung, die eine Gegenmeinung vertraten, ihre Ansicht zum Ausdruck gebracht, dass die Worte von Dink, zu der Zeit als das Gesetz, hinter dem sich Ömeroğlu versteckt, gültig war, keine Straftat bildete.