Debatte um Meinungsfreiheit : Lebensader in Gefahr
MESOPOTAMIA NEWS : EINE ZENSUR FINDET NICHT STATT / ABER JEDE MEINUNG WIRD GENAU ÜBERPRÜFT
- Von Simon Strauss – FAZ -Aktualisiert am 21.07.2020-17:06
Illiberales Meinungsklima? Blick auf das Gebäude der New York Times. DER FALL BARRI WEISS
Wer gäbe heute noch sein Leben für eine andere Meinung? Eine intellektuelle Bewegung widersetzt sich der Cancel Culture und streitet für einen offenen Diskurs. Allerdings gibt es auch politisch giftige Meinungsträger darunter.
Ein Journalist schreibt eine Reportage. Er kommt aus dem Osten und arbeitet für die Seite drei der „Süddeutschen Zeitung“. In dem Text geht es um zwei zu Unrecht verurteilte Rechtsradikale. Einer von ihnen saß vier Jahre in Haft, bevor sich seine Unschuld herausstellte. Der Richter der ersten Instanz habe unter erheblichem öffentlichen Druck gestanden, schreibt der Autor. Er heißt Birk Meinhardt und war in seinem früheren Leben Sportjournalist der „Wochenpost“, einer der auflagenstärksten Wochenzeitungen der DDR. Dort gab es Zensur und Haltungsvorgaben. Als die Chefredaktion der „Süddeutschen“ seine Reportage nicht drucken will, weil Neonazis sie als Beweis für ihre Unschuld werten und für ihre Zwecke ausnutzen könnten, muss er sich an Zeiten erinnert gefühlt haben, in denen unbequeme Wahrheiten unterdrückt wurden, weil sie dem „Klassenfeind“ nützen könnten. 2017 hat er „seine Zeitung“ verlassen und jetzt ein Buch über seine Erfahrungen veröffentlicht (Birk Meinhardt: „Wie ich meine Zeitung verlor“. Ein Jahrebuch. Das neue Berlin, 144 Seiten, 15 Euro). Die SZ-Chefredaktion rechtfertigt ihr Vorgehen im Rückblick mit Verweisen auf eine angeblich unklare Quellenlage in dem Artikel.
Eine angesehene Philosophin und Geisteswissenschafts-Redakteurin bei Deutschlandfunk Kultur berichtet über die Demonstrationen von linken Störern am Stand rechter Verlage bei der Frankfurter Buchmesse 2017 und benutzt zur Charakterisierung das Wort „linksextrem“. Darauf wird sie im Netz und wohl auch innerhalb ihrer Redaktion heftig attackiert. In einer Art Verteidigungsartikel schreibt sie, dass es in der politischen Öffentlichkeit nicht mehr um die Unterscheidung zwischen links und rechts gehe, sondern um einen Riss, „der die, die noch bereit sind zuzuhören und zu verstehen, von jenen trennt, die es nicht mehr sind“. Der Fall Svenja Flaßpöhler (die Deutschlandfunk Kultur nach einem Jahr wieder verließ) erinnert von ferne an den aufsehenerregenden Fall Bari Weiss. Die sechsunddreißigjährige Meinungsjournalistin der „New York Times“ gab unlängst ihre Kündigung bekannt, weil sie die „illiberale Atmosphäre“ einer Redaktion, in der „Selbstzensur die Norm“ geworden sei, nicht mehr ausgehalten habe.
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