CONTRA DOHA / PRO LCC : Rafif Jouejati im Interview: “Muslimbrüder kontrollieren die syrische Übergangsregierung”

FTD Deutschland – 12.11.2012 – Die syrische Oppositionelle Rafif Jouejati warnt davor, den in Katar gebildeten Oppositionsblock als Exilregierung anzuerkennen – in dem 40-köpfigen Gremium ist nicht eine Frau vertreten. Den islamistischen Muslimbrüdern traut sie nicht.

Interview Die syrische Oppositionelle Rafif Jouejati warnt davor, den in Katar gebildeten Oppositionsblock als Exilregierung anzuerkennen – in dem 40-köpfigen Gremium ist nicht eine Frau vertreten. Den islamistischen Muslimbrüdern traut sie nicht. von Silke Mertins

Rafif Jouejati ist Sprecherin der Local Coordination Committees, dem Verbund der Aktivisten, die die Protestaktionen in Syrien vor Ort organisieren. Jouejati ist die Tochter eines syrischen Karrierediplomaten und lebt derzeit in Washington. Zuvor hat sie einige Jahre für das syrische Staatsfernsehen gearbeitet, denn als Baschar al-Assad das Amt von seinem Vater übernahm, war das Land voller Hoffnung auf Reformen. Assads brutale Reaktion auf den Aufstand hat sie “überrascht”. Seitdem ist die Unternehmensberaterin für Opposition aktiv. Die FTD traf sie am Rande einer Veranstaltung der Körber-Stiftung in Berlin.

FTD Die syrische Opposition hat sich in Doha auf einen gemeinsamen Oppositionsblock geeinigt, der eine Übergangsregierung bilden soll – darunter nicht eine Frau. Gibt es kein Interesse?

Rafif Jouejati Ich bin absolut empört über diese Entscheidung. Es ist unmöglich, dass ein solcher Block die Ziele der syrischen Revolution verkörpert. Würde und Demokratie – ohne Frauen? Frauen sind die Mehrheit der Bevölkerung. Sie tragen die größte Last. Minderheiten sind in diesem Gremium übrigens auch nicht vertreten. Der Syrische Nationalrat (SNC) hat damit bestätigt, dass die Muslimbrüder dort das Sagen haben. Der SNC toleriert keine Frauen oder Minderheiten. Das Treffen in Doha ist ein Reinfall. Das Gremium ist nicht repräsentativ.

FTD Sie trauen den syrischen Muslimbrüdern, die sich bisher sehr moderat geben, nicht?

Rafif Jouejati Die Muslimbruderschaft gibt sich sehr viel Mühe, moderater zu erscheinen – und das ist ermutigend. Aber für mich schließt eine Organisation, die eine religiöse Bruderschaft ist, andere Religionen aus. Und sie ist als Bruderschaft sexistisch. Weil ich an eine säkulare Gesellschaft glaube, traue ich der Muslimbruderschaft nicht. Sie müssen erst einmal beweisen, dass sie mit einem solchen Namen in der Lage sind, die Rechte anderer zu respektieren.

FTD Warum ist die syrische Opposition unfähig, eine Übergangs- oder Exilregierung zu bilden?

Rafif Jouejati Die syrische Opposition ist nie frei gewesen und hat sich nie treffen können, ohne verhaftet oder bedroht zu sein.

FTD Das galt für die libysche Opposition noch mehr.

Rafif Jouejati Ja, das stimmt wohl. Der SNC wurde hastig und unausgereift zusammengestellt. Die Muslimbruderschaft ist dort zu stark vertreten. Es wurde darauf geachtet, dass prominente Oppositionelle dabei sind, aber nicht, ob die Mitglieder ihre Leute in Syrien vertreten. Viele sind 30 oder 40 Jahre nicht in Syrien gewesen – länger im Ausland, als die meisten Aktivisten in Syrien alt sind. Auf der anderen Seite: Die Syrer haben derart die Nase voll vom Einparteiensystem, dass sie sich offenbar auch nicht vereinen wollen. Wir können uns lediglich darauf einigen, dass das Regime gehen muss.

FTD Ist die ständige Forderung des Westens – auch der deutschen Regierung -, dass die syrische Opposition sich erst vereinen muss, eine bequeme Entschuldigung dafür, nichts zu tun?

Rafif Jouejati Ja. Denn die Bedingung ist eine Einigung. Aber was kommt dann? Auf der anderen Seite ist aber auch wahr, dass die syrische Opposition eine Verantwortung hat. Ohne eine Alternative zu dem Assad-Regime zu bieten, werden wir nicht viel Hilfe bekommen. Angesichts der Unfähigkeit des SNC haben ich und andere Frauen aus der Opposition zu einer Frauen-Übergangsregierung aufgerufen. Was in Katar passiert ist, ist einfach nur schockierend.

FTD Wie wird sich die Wiederwahl von Präsident Barack Oabama auf die amerikanische Syrien-Politik auswirken?

Rafif Jouejati Obama wird jetzt sicher eher in der Lage sein, sein eigenes Versprechen, einen Genozid in Syrien zu verhindern, ganz oben auf seine Agenda zu setzen.

FTD Sehen Sie Anzeichen dafür, dass die US-Regierung sich nun stärker engagiert?

Rafif Jouejati Meinen Gesprächen mit Regierungsvertretern konnte ich entnehmen, dass man sich nach der Wahl außenpolitisch neu aufstellen und die syrische Opposition darüber erfreut sein werde. Ich weiß nicht, wann das sein wird, aber ich werde sicher darauf dringen, dass die US-Position sich verändert.

FTD Fordern Sie auch Waffen für die Opposition?

Rafif Jouejati Einzelne Gruppen oder Individuen zu bewaffnen ist verantwortungslos und wird zu mehr Blutvergießen führen. Wir wollen nicht noch mehr Waffen. Wenn die internationale Gemeinschaft die Opposition bewaffnen will, sollte sie sich auf Freie Syrische Armee (FSA) beschränken.

FTD Der Westen zögert, weil Waffen in die falschen Hände geraten könnten – in die von Islamisten. Wie besorgt sind Sie über islamische Kampfeinheiten oder Gruppen?

Rafif Jouejati Während man sich Sorgen darüber macht, dass Waffen in den falschen Händen landen könnten, bekommen diese falschen Hände Waffen von den falschen Lieferanten. Je verzweifelter die Menschen werden, desto mehr werden sie sich der Religion zuwenden – und Hilfe annehmen, egal von wem. Ein junger Mann, der sein Viertel oder seine Stadt verteidigen will, wird Waffen von jedem nehmen, egal welches Banner er dafür tragen muss. Hätte die Freie Syrische Armee mehr Unterstützung bekommen, wäre das vielleicht nicht passiert.

FTD Können es die Syrer auch allein schaffen?

Rafif Jouejati Diese Woche ist es der Freien Syrischen Armee gelungen, Raketen in Richtung des Präsidentenpalastes abzuschießen. Ein Freund von mir, ein Kommandeur in der FSA, hat mir gesagt, sie würden noch vor Jahresende den Präsidentenpalast kontrollieren. Wenn das stimmt, ja, denn können sie es vielleicht tatsächlich allein schaffen. Aber solange Assad den Luftraum kontrolliert und die Bevölkerung mit Bomben terrorisiert, bleibt es schwierig.

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