Ausgestoßener der Woche: Gunnar Kaiser  / Kolja Zydatiss  19 Dec 2020 – achgut achse

MESOPOTAMIA NEWS : GESINNUNGSDIKTATUR UNTER DER REGENBOGEN-FAHNE ! / REPRESSIVE CANCEL CULTURE !

Der erste Ausgestoßene der Woche ist der klassisch liberale Philosoph, Schriftsteller und YouTuber Gunnar Kaiser. Dieser moderierte am 3. Dezember 2020 einen sogenannten Webtalk zum Thema „Intoleranz, offene Debattenkultur und Cancel Culture“. Gäste der virtuellen Runde waren der Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) und die Chefredakteurin des „Philosophie Magazins“, Svenja Flaßpöhler.

Ein passender Moderator, würde man denken. Schließlich beschäftigt sich Kaiser viel mit Meinungsfreiheit und Debattenkultur und ist (gemeinsam mit dem Journalisten Milosz Matuschek) Co-Initiator des „Appells für freie Debattenräume“. Tatsächlich diskutierten die Gäste und der Moderator ruhig und sachlich anderthalb Stunden lang über die Grenzen des Sagbaren und die Auswirkungen der sogenannten „Cancel Culture“. So weit, so unspektakulär.

Nun ist Gunnar Kaiser allerdings selbst Opfer der Cancel Culture geworden. Ausgerechnet die Organisatorin der Diskussionsveranstaltung, die FDP-nahe „Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit“, hat sich nachträglich von dem Autor distanziert und sich für seine Einladung entschuldigt. Vorgefallen war Folgendes: Anonyme User hatten auf Twitter die Entscheidung für Kaiser als Moderator kritisiert und den Account der Naumann-Stiftung markiert. Der Nutzer @benthamsghost twitterte z.B., Kaiser sei „quer abgebogen und nach rechts so weit offen, daß man einen Flugzeugträger darin parken könnte“, und forderte die Stiftung auf, sich zu erklären.

Am 14. Dezember reagierte dann der Twitter-Account der Naumann-Stiftung auf diesen Mini-Shitstorm:

„Wir haben die Person Gunnar Kaiser aus gegebenem Anlass sehr intensiv überprüft und müssen zur Kenntnis nehmen, dass Herr Kaiser mit rechtspopulistischem und verschwörungstheoretischem Gedankengut arbeitet. Es ist unser Versäumnis, dass wir bei der Auswahl der Moderation einer Empfehlung gefolgt sind und seinen Hintergrund vorher nicht ausreichend geprüft haben. Das bedauern wir und werden Vorsorge treffen, dass so etwas nicht mehr passieren kann!“

Das soll wohl heißen, dass die Naumann-Stiftung (und vielleicht auch ihre Mutterorganisation, die FDP?) Gunnar Kaiser als Persona non grata betrachtet und ihn für die Zukunft „cancelt“.

Irgendwelche Belege für ihre harten Vorwürfe lieferte die Naumann-Stiftung (zunächst) nicht. Auf seinem Telegram-Kanal schreibt Kaiser, er sei von der Stiftung „weder befragt noch mit konkreten Vorwürfen konfrontiert“ worden. Man habe ihm im Vorfeld der öffentlichen Distanzierung/Entschuldigung kein Gespräch zur Klärung angeboten.

Eine bizzare Anklageschrift

Der Welt-Journalist und Leiter des Feuilletons der Zeitung, Andreas Rosenfelder, bekam später auf Anfrage vom Pressesprecher der Stiftung, Anders Mertzlufft, ein längeres Gunnar-Kaiser-„Dossier“ zugeschickt. Rosenfelder zitiert aus dem Inhalt dieses Schreibens der Stiftung wie folgt:

Herr Kaiser behauptet, wir lebten in einem Pandemieregime, in einer Gesellschaft, in der die Menschen von Sozialingenieuren gelenkt und gesteuert werden“.

Die Demokratie sei laut Kaiser „ausgehöhlt und nicht mehr existent“.

Laut Kaiser erlebten wir zurzeit einen „globalen Krisenkult“, hinter dem ein „Prozess der Großen Transformation“ stecke, welcher „von den Protagonisten des Weltwirtschaftsforums angeschoben“ werde.

Es ginge laut Kaiser darum, „das Paradies einer neuen Normalität mit zentral geplanter Kreislaufwirtschaft zu schaffen“. 

Das erinnere, laut Naumann-Stiftung, „an die rechtskonservativen Untergangsfantasien der 20er Jahre. Gleiches gilt für die Warnung vor dem Kommunismus.“

Rosenfelders Sezierung dieser bizarren Anklageschrift ist äußerst lesenswert. So fragt er: „Ist man Rechtspopulist und Verschwörungstheoretiker, wenn man von einem ‚Pandemieregime‘ spricht? (…)

Die Welt Autor Rosenfelder formuliert seine Antwort so: „Die Frankfurter Allgemeine Zeitung verwendete den Begriff ‚Pandemieregime‘ am 21. Oktober ohne Anführungszeichen in einer Überschrift“. Und der fragt: „Bestellt die Naumann-Stiftung jetzt ihr Abo ab?“

Und weiter: „Dass wir von ‚Sozialingenieuren‘ regiert werden, ist ein Topos liberaler Gesellschaftskritiker von Foucault bis Sloterdijk. Die von der Stiftung als Verschwörungstheorie aufgeführte ‚Große Transformation‘ ist schwarz auf weiß nachzulesen im Bestseller ‚Covid-19: Der Große Umbruch‘, verfasst von Klaus Schwab, dem Gründer und Chef des Weltwirtschaftsforums.“

Auch auf mich wirkt die Einordnung Kaisers als „rechtspopulistisch“ oder „verschwörungstheoretisch“ hanebüchen. In seinen Videos hat sich der YouTube mehrfach kritisch mit den Grundgedanken der völkisch-aktionistisch orientierten „Identitären Bewegung“ (IB) auseinandergesetzt, die aus seiner Sicht „kollektivistisch“ sind. Offenbar hat sich die FDP-nahe Stiftung in den aktuellen Kulturkämpfen für Anbiederung an einen neuen McCarthyismus entschieden, der von linken Diskurswächtern ausgeht, die die FDP ohnehin nicht wählen werden. Ein Armutszeugnis für eine Organisation, die nach eigenem Branding „für die Freiheit“ sprechen will.

In der Gegenwart der Wissenschaftlerin „unwohl gefühlt“

Opfer der Cancel Culture wurde diese Woche auch Kathleen Stock. Die Professorin für Philosophie an der englischen University of Sussex und Autorin des „Transgender“-kritischen Sachbuchs „Material Girls“ sollte im Mai 2021 einen Vortrag bei der mehrtägigen virtuellen Tagung „Oppressive Speech, Societies & Norms – Theme 5: Disinformation, Epistemic Vices & Online Harm“ halten. Die Veranstaltung wird vom Berliner Leibniz Zentrum Allgemeine Sprachwissenschaft (ZAS) organisiert.

Aus dem geplanten Auftritt wird nun nichts werden. Wie Stock auf Twitter mitteilt, ist sie von der Online-Konferenz ausgeladen worden. Das Abstract für ihren Vortrag sei wieder von der Webseite des ZAS entfernt worden. Laut der Professorin hatte sich eine „Trans“-Person bei den Veranstaltern über sie beschwert. Diese Person habe behauptet, sie habe im Februar an einem Zoom-Meeting mit Stock teilgenommen, in dem letztere sie „persönlich beleidigt“ habe. Die Trans-Person habe sich daher in der (virtuellen) Gegenwart der Wissenschaftlerin „unwohl gefühlt“.

Das ZAS stellt die Sache anders dar. Auf Twitter schreibt das Zentrum, Stocks Vortrag sei abgesagt worden, weil das (bereits angenommene!) Abstract „nicht zum wissenschaftlichen Thema des Workshops“ gepasst habe und eine Formulierung enthalten habe, die „nicht vereinbar mit den Werten des ZAS“ sei. Laut dem Londoner Philosophen Miroslav Imbrisevic, der aus Solidarität mit Stock an das ZAS schrieb und eine Erklärung für die Ausladung verlangte, ist der Direktor des ZAS, Professor Manfred Krifka, in einer E-Mail an ihn konkreter geworden. Das Abstract sei unangemessen gewesen, weil es ein Statement enthalten habe, das als „Herabwürdigung einer bestimmten Menschengruppe“ verstanden werden könnte. Daher stehe man zu der Entscheidung.

Hier können Sie das Abstract selbst lesen. Das Problem besteht offenbar darin, dass Professorin Stock die Notwendigkeit eines Konzepts „Frau“ für „erwachsener weiblicher Mensch“ verteidigt und damit mutmaßlich Menschen herabwürdigt, die unter dem Begriff „Frau“ etwas anderes verstehen. Oder so. Das Ganze wirkt arg konstruiert, und ist es wahrscheinlich auch. Auf Twitter schreibt Miroslav Imbrisevic: „Sie hätten nie so einen ungeheuerlichen Fehler gemacht. Diese Erklärung ist lächerlich.“ Wahrscheinlicher sei, dass „Trans-Aktivisten“ Stocks Namen im Programm der Konferenz entdeckten und ihre Säuberung verlangten. „Ich bin in Sorge um die Freiheit von Forschung und Lehre in Deutschland“, beendete der Philosoph seine Protestmail an das ZAS.

„Chi-nese!“, triumphiert der andere

Der deutsche Film „Monster Hunter“ ist indessen in einen transnationalen Empörungsstrudel hineingezogen worden. Wie die „Welt“ erklärt, sollte der Action-Streifen, finanziert von der Münchner Constantin Film mit einem 60-Millionen-Dollar-Budget, zuerst in China anlaufen. Erstens, weil dort die Kinos wieder offen sind, und zweitens, weil die letzte Constantin-Game-Verfilmung, „Resident Evil“, dort 185 Millionen Dollar einspielte. Doch schon nach einem Tag habe die China Film Group dringende E-Mails an die Kinos im Reich der Mitte verschickt. Es werde über Nacht eine neue Version des Films geschnitten und bereitgestellt. Die alte Version dürfe auf gar keinen Fall mehr gespielt werden.

Laut Welt reagierte der staatliche chinesische Filmverleih mit dieser hastigen Nachbesserung auf einen Shitstorm, der sich im Laufe des Tages an folgender Szene entzündet habe: Zwei Männer fahren mit hoher Geschwindigkeit und viel Lärm durch eine Wüstenlandschaft, einer mit westlichen und einer mit asiatischen Gesichtszügen. „What?“, fragt der Westler seinen Kumpel. „Look at my knees“, ruft der Asiate zurück. „What kind of knees are these?“, will der Begleiter wissen. „Chi-nese!“, triumphiert der andere und schüttelt sich vor Lachen.

„Das Netz“ habe diesen Kalauer mit einem rassistischen Schmähvers assoziiert, der in den 1950er und 60er Jahren auf amerikanischen Schulhöfen populär war: „Chi-nese, Jap-a-nese, dir-ty knees, look at these.“ Nach Angaben der Welt hatten weder der chinesischstämmige Schauspieler und Rapper Jin Au-Yeung, der den Dialog am Drehort improvisiert habe, noch das multinationale Produktionsteam noch die chinesischen Filmkritiker, die das Werk vorab zu sehen bekamen, noch die staatliche chinesische Filmzensur, diese Verbindung hergestellt.

Dennoch mussten die fraglichen zehn Sekunden sofort verschwinden, und alle Beteiligten Kotaus machen. Jin erklärte laut Welt, immer seine Stimme für die chinesische Gemeinschaft erhoben zu haben und „immer stolz“ auf seine Herkunft bleiben zu wollen. Die Constantin Film habe versichert, es habe „absolut keine Absicht gegeben, Menschen chinesischer Herkunft zu diskriminieren, zu beleidigen oder zu kränken“. Nach Angaben der Welt wird die anstößige Szene auch in Ländern jenseits von China nicht mehr zu sehen sein.

Militante Feministin gegen muslimische Kommunistin

Auf der kulturellen Anklagebank sitzt diese Woche auch die englische Autorin Julie Burchill. Großbritanniens „umstrittenste Journalistin“ („The Independent“, 2005) ist u.a. bekannt für ihren militanten Feminismus, ihren Drogenkonsum, ihre Bisexualität, ihre Solidarität mit Israel sowie für ihre Verteidigung der Lebensweisen der Arbeiter- und Unterschicht.

Diese Woche legte sich Burchill auf Twitter mit der muslimischen Kommunistin (ja das gibt es) Ash Sarkar an. Sarkar hatte sich über einen acht Jahre alten Artikel von Rod Liddle im konservativen „Spectator“ echauffiert, in dem letzterer schrieb, es sei ganz gut, dass er nicht Lehrer geworden sei, weil er wahrscheinlich versucht hätte, „einige der Teenager zu vögeln“. Sarkars Aufregung sei heuchlerisch, bemerkte Burchill, da sie selbst einer Religion folge, deren Prophet Mohammed die nach islamischer Überlieferung sechs- oder siebenjährige Aischa bint Abi Bakr zur Frau nahm (und mit neun bzw. zehn Jahren die Ehe vollzog).

„Rassismus!“, „Islamophobie!“, schreien nun die „woken“ Eiferer. Und prompt ist Burchill beim Verlagshaus Hachette rausgeflogen, das ihr in Arbeit befindliches Buch „Welcome to the Woke Trials“ herausbringen wollte. Ein Buch über politische Korrektheit und Cancel Culture (!) für das sie nun einen neuen Verleger finden will. Man kann es sich nicht ausdenken.

Viel Arbeit für Umbenennungskommitees

Und auch in den USA gibt es einen Ausgestoßenen der Woche, nämlich den Sklavenbefreier Abraham Lincoln, den viele Amerikaner als den größten US-Präsidenten aller Zeiten betrachten. Wie die britische „Daily Mail“ berichtet, ist die Abraham Lincoln High School in San Francisco eine von 44 Schulen in der Region, die aus Gründen der politischen und kulturellen Sensibilität umbenannt werden sollen. „Lincoln, wie die Präsidenten vor ihm und die meisten seiner Nachfolger, bewies weder durch seine Politik noch durch seine Rhetorik, dass ihm schwarze Leben jenseits ihrer Rolle als Humankapital und Opfer der Vermögensbildung wichtig waren“, zitiert die Zeitung den Vorsitzenden des Umbenennungskomitees, Jeremiah Jeffries. Auch Lincolns Rolle bei der Umsiedlung von Indianerstämmen und der Hinrichtung von 38 Anführern des Dakota-Stammes im Jahr 1862 hätten die Entscheidung beeinflusst.

Umbenannt werden sollen auch Schulen, die nach den Präsidenten George Washington (Sklavenbesitzer), Theodore Roosevelt (Gegner des Wahlrechts für Afroamerikaner) und Herbert Hoover (Befürworter des sogenannten „Redlinings“, also der Diskriminierung ärmerer, mehrheitlich schwarzer Wohnviertel, u.a. bei der Baufinanzierung) benannt sind. Auch die Thomas Edison Charter Academy soll künftig nicht mehr so heißen (der Erfinder war an der Entwicklung des elektrischen Stuhls beteiligt).

Besonders bizarr: Auch die Dianne Feinstein Elementary School soll umbenannt werden. Die noch lebende kalifornische Politikerin, die seit 1992 für die Demokraten im US-Senat sitzt, war von 1978 bis 1988 erste weibliche Bürgermeisterin von San Francisco. In dieser Funktion machte sie eine ziemlich linke Politik. Sie erlaubte allerdings auch, dass die Flagge der Konföderierten Staaten von Amerika (also der sklavenhaltenden Südstaaten) jahrelang vor dem Rathaus von San Francisco gehisst wurde (laut der Faktenchecker-Webseite „Snopes“ gehörte die Flagge zu einer öffentlichen Ausstellung von 18 Flaggen, welche die wechselhafte Geschichte der USA symbolisieren sollten). Das ist ihr nun zum Verhängnis geworden.

Und damit endet der allwöchentliche Überblick des politischen und kulturellen Reinemachens. Bis nächste Woche!

Empfehlung: Dieses Video zeigt Gunnar Kaiser im Gespräch mit Henryk M.Broder.