ART SPIEGELMAN
Die Unschuld der Cartoonisten Im Kreuzfeuer der Weltreligionen
25.09.2012 · Köln – Der amerikanische Comiczeichner Art Spiegelman erinnert sich an seine umstrittensten Arbeiten. Alle hatten mit Religion zu tun. Zum jüngsten muslimfeindlichen Film hat er eine deutliche Meinung.
Art Spiegelman war in Deutschland, vier Tage lang, um seine Retrospektive „Co-Mix“ im Kölner Museum Ludwig (siehe untenstehende Comic-Rezension) zu eröffnen und vorgestern in Berlin den Siegfried-Unseld-Preis entgegenzunehmen. In diesen vier Tagen begegnete man dem Comiczeichner Spiegelman, der mit „Maus“ die Grundlage für die heutige Akzeptanz dieser Erzählform geschaffen hat, aber auch dem Cartoonisten, der mit größter Sorge die Entwicklung auf diesem, seinem zweiten Feld betrachtet. Denn die vier Tage waren eine Zeit, die auch im Zeichen der Auseinandersetzung um den polemischen Film „Die Unschuld der Muslime“ stand.
„Natürlich habe ich den Film gesehen, und natürlich will ich darüber reden“, sagt Spiegelman, „es ist ein lächerliches Werk, nicht der Rede wert, aber gerade darum ist das, was daraus entstanden ist, so bemerkenswert. Niemand hätte sich dieses Filmchen je bei Youtube angesehen, wenn es nicht die Proteste dagegen gegeben hätte. Diejenigen, die ihn aus der muslimischen Welt skandalisierten, haben auf so einen Anlass gewartet. Sie benutzen ihn nur für etwas, das sie sowieso tun wollten.“
Erst protestieren die einen, dann die anderen
Spiegelman weiß, wovon er spricht. Er ist ein Cartoonist, der mit allen großen monotheistischen Religionen Streit hatte, zuallererst mit den Angehörigen seines eigenen Glaubens, des jüdischen (wobei Spiegelman sich als Agnostiker sieht). Im Februar 1993 hatte er das Titelbild der Zeitschrift „The New Yorker“ zum Valentinstag gezeichnet: einen Kuss zwischen einem chassidischen Juden mit Bart und Schläfenlocken und einer jungen Schwarzen. Kurz vorher hatte es in Brooklyn Straßenkämpfe zwischen jüdischen und farbigen Bewohnern gegeben, und deshalb löste Spiegelmans Versöhnungsvision zunächst heftige Proteste von jüdischer, dann von afroamerikanischer Seite aus.
„Der Vorwurf seitens der Orthodoxen lautete selbstverständlich auf jüdischen Selbsthass“, erinnert sich Spiegelman und lacht. „In der Tat sind Juden ja die größten Antisemiten der Welt, aber das sieht man mehr an der Reaktion auf mein Titelbild. Seitens der Schwarzen dagegen wurde behauptet, ich hätte mich nie getraut, die Rollen umzukehren und einen Farbigen zu zeichnen, der eine Jüdin küsst. Diese Leute haben einerseits vom Beruf der Cartoonisten keine Ahnung, denn einen jüdischen Mann erkennt man sofort an seinen Attributen, eine jüdische Frau dagegen nicht. Also zeichnet man besser ihn. Und hätte ich tatsächlich einen Schwarzen dargestellt, der eine Jüdin küsst, wäre mir vorgeworfen worden, ich würde das Klischee von Farbigen als sexuellen Gewalttätern bemühen. Man macht es Leuten, die keinen Frieden geben wollen, nie recht.“
Eine Flut empörter Leserbriefe
Zwei Jahre später verscherzte es sich Spiegelman mit den Christen, als er zu Ostern einen Hasen in der Pose des Gekreuzigten zeichnete, dem die Taschen seines Anzugs nach außen gekehrt waren. „Taxed to Death“ lautete der Titel dieses Bildes, das auf den Abgabezeitpunkt der amerikanischen Einkommensteuererklärung anspielte, der 1995 auf Ostersamstag fiel. Der republikanische Politiker Newt Gingrich hatte wenige Tage zuvor die angeblich untragbare Steuerlast der Amerikaner kritisiert.
Aber christliche Leser sahen mit dem Kreuzestod ein zentrales Moment ihrer Religion verspottet. Spiegelman, damals auch auf Reisen in Deutschland, wurde schnellstens zurückgeflogen, um den Vorwürfen zu begegnen: „Als ich mich vor der Kamera ans erregte Publikum wandte und nur ‚Mea culpa‘ sagte, holten mich meine Redakteure sofort von der Bühne. Man zog mich nie mehr zur Verteidigung meiner Bilder heran.“ In der Flut empörter Leserbriefe fand sich häufig der Vorwurf des „christian bashing“ durch den Juden Spiegelman: „Endlich einmal fühlte ich mich auf der starken Seite.“
Muslimisches Missfallen hat sich Spiegelman erst spät zugezogen, und das war dann auch durchaus gewollt. Als Reaktion auf den Streit um die dänischen Mohammed-Karikaturen 2005/06 hatte Irans Präsident Ahmadinedschad einen antisemitischen Karikaturenwettbewerb ausgerufen, mit dem er das westliche Beharren auf Meinungsfreiheit Lügen strafen wollte. Aber Spiegelman machte sich sofort an die Arbeit. Eine seiner Karikaturen zeigte einen krummnasigen Herrn mit Palästinensertuch, der zu einem genauso krummnasigen Juden sagt: „Seltsam, Sie sehen gar nicht jüdisch aus.“ Eine andere einen jüdischen Herrn am Tisch, der seine Frau am Nachschenken hindert: „Bitte kein palästinensisches Blut mehr, das ist schlecht für meinen Cholesterinspiegel.“
Spiegelman hat den Wettbewerb nicht gewonnen. „Ich war zu feige, die Arbeiten einzureichen. Und wenn man ehrlich ist, waren die Arbeiten der Gewinner auch besser als meine. Juden sind eben doch nicht die besten Judenhasser.“ Aufsehen erregten seine Karikaturen aber doch noch: in der Zeitschrift „Harper’s“. Die Parodie auf Perfidie wurde als muslimfeindlich kritisiert. „Dabei hat ein guter Karikaturist kein Feindbild, er liegt notgedrungen mit der ganzen Welt im Clinch.“ Deshalb ist Spiegelman nie auszurechnen. In Österreich lässt er seine Werke nicht ausstellen, weil das Land seine Beteiligung am NS-Genozid nicht aufgearbeitet habe, in Israel nicht, weil dort dieser Genozid politisch instrumentalisiert werde.
Dilettanten auf dem Feld der Ironie
Spiegelmans bislang ultimative Karikatur zu Religions- und Rassenhass ist dementsprechend eine universale Verächtlichmachung. Als Kommentar zum dänischen Karikaturenstreit zeichnete er wiederum für „Harper’s“ ein Titelbild mit Klischeeporträts von Juden, Muslimen und katholischen Priestern, aber auch von Schwarzen, Mexikanern, Italienern und Indianern – und die hingekritzelte Skizze einer nackten Frau. „Ich rechnete nicht damit, dass ausgerechnet dieser im Stil von Schulschmierereien gehaltene Akt Probleme bereiten würde. Angeblich wollte die kanadische Buchhandelskette Chapters diese Ausgabe von ‚Harper’s‘ nicht verkaufen, also sollte ich schwarze Balken über Brust und Geschlecht legen. Niemals habe ich freudiger einer Bitte um Zensur entsprochen, denn das Bild wurde dadurch besser.“ Chapters lehnte die Ausgabe trotzdem ab – keine andere „Harper’s“-Nummer hat sich in Kanada je besser verkauft.
„Das ist doch der Effekt jeder Skandalisierung“, sagt Spiegelman, „plötzlich wollen alle sehen, was da los ist, und so kommt die Sache erst richtig unter die Leute.“ Dabei beklagt er nicht den Mangel des Publikums an Ironieverständnis, wie es kürzlich der wegen seines Lobs für Anders Breivik entlassene französische Lektor Richard Millet getan hat. Spiegelman sieht im Gegenteil zu viel Ironisierung am Werk, wenn selbst Dilettanten wie der Produzent von „Die Unschuld der Muslime“ sich auf diesem Feld versuchen. „Wir brauchen eine neue Ernsthaftigkeit, dann nimmt man auch solche Bagatellen nicht mehr wichtig. Wenn die Islamisten schon einen Vorwand haben wollen, dann soll es wenigstens etwas sein, was die westliche Meinungsfreiheit ziert.“ Ein Verbot des Films kommt für Spiegelman natürlich gar nicht in Frage. Zurück in Amerika wird er über seine Reaktion auf die Proteste nachdenken.
Von Andreas Platthaus
Gespräch mit Richard Millet – Was Breivik uns sagen wollte
Richard Millets “Loblied auf Breivik” löste in Frankreich einen Skandal aus. Der Autor verlor seinen einflussreichen Posten als Lektor bei Gallimard. Ein Treffen in Paris.
Sie schreiben, Frankreich sei “in der Literatur nur noch eine Bananenrepublik”. Was verdrießt Sie so sehr?
Der Verfall der Sprache und ihrer Struktur, das Fehlen jeglichen Stils, die Kulturlosigkeit der Autoren … Außerdem bekümmert mich die Funktionsweise der kleinen literarischen Welt in Paris, ihre Konzentration in wenigen Arrondissements. Natürlich gibt es in der Literatur unserer Zeit auch Ausnahmen. Aber es werden immer weniger, wie ich mit Bedauern feststellen muss.
An wen denken Sie da?
An Thomas Bernhard. An die Essays von Roberto Calasso und Claudio Magris. Vor allem an W. G. Sebald. Seine Sprache ist bemerkenswert, die Musikalität seiner Sätze erstaunlich. Sebald beobachtet das Tragische in der Geschichte. Er passt in keine literarische Schublade und mischt Erzählung, geschichtliche Darstellung und Roman. Er hat es der Literatur ermöglicht, sich zu erneuern. Im Unterschied zu Houellebecq, der als symptomatisch für unsere Zeit gelten kann und dessen Sprache nicht durchgearbeitet ist. Und mehr noch Umberto Eco: Seine vereinfachte Version von “Der Name der Rose” ist reine Demagogie.
Es handelt sich also nicht um ein rein französisches Phänomen, das Sie da beschreiben …
Nein, das ist ein europäisches Phänomen, das aber in besonderem Maße Frankreich betrifft.
Aus welchen Gründen?
Aus historischen Gründen. Frankreich hat sich trotz de Gaulles und Malraux’ Taschenspielertricks niemals von der Niederlage 1940 erholt, es hat Vichy und die Entkolonisierung niemals verarbeitet. Anders als die Angelsachsen, die ihre Vergangenheit leichter akzeptieren und besser mit ihren Niederlagen umgehen, hat Frankreich ein Problem mit seiner Geschichte. Hinzu kommt noch der übermäßig aufgeblasene Achtundsechziger-Mythos, dieser gewaltige Betrug, der hinter der Fassade des Situationismus und des Surrealismus die Verbrechen des Maoismus und des Stalinismus versteckt. (Millet richtet sich auf.) Die Achtundsechziger haben das französische Bildungssystem zerstört und jeglicher Form von Autorität und Hierarchie die Glaubwürdigkeit genommen.
Aber das ist lange her …
Das Erbe ist die politische Korrektheit. Deswegen darf man in Frankreich über gewisse Dinge nicht reden. Wenn Sie mit dem Zug in Rotterdam ankommen, sehen Sie als Erstes eine riesige Moschee. In meinen Augen untergräbt diese Moschee das typisch Holländische. Sie springt mich an. Muss ich diese Tatsache in meine Schilderung aufnehmen, oder muss ich mit Schweigen darüber hinweggehen? Wenn ich darüber rede, ziehe ich mir den Zorn der politisch Korrekten zu. Lasse ich sie weg, übe ich Selbstzensur.
In Ihren Augen sind die vielen Moscheen in unseren Städten ein Zeichen für den Niedergang Europas. Sie erwecken den Eindruck, die Morde Breiviks seien eine Reaktion auf diesen Niedergang. Haben Sie deshalb das “Loblied auf Anders Breivik” geschrieben?
Zunächst einmal und damit das ganz klar ist, möchte ich sagen, dass ich Breiviks Reaktion für monströs halte. Daran möchte ich keinen Zweifel lassen. Der Titel des Essays hat Empörung ausgelöst. Ich dachte, die Leute würden verstehen, dass er ironisch gemeint ist.
Wirklich? Das war doch vorhersehbar.
Hätte ich ihn vielleicht “Literarischer Essay über Anders Breivik” nennen sollen? Das wäre ein mittelmäßiger Titel. Trotzdem gehöre ich heute nach Ansicht vieler Menschen in Frankreich zu derselben Art von Leuten wie er.
Sie haben immerhin geschrieben: “Breivik ist zweifellos das, was Norwegen verdiente und was unsere Gesellschaften erwartet, die sich unablässig blind stellen, um sich besser selbst verleugnen zu können.”
Ich denke, die europäischen Länder, die sich blind gegen die Folgen der Ideologie des Multikulturalismus stellen, werden Breiviks hervorbringen, wie Frankreich einen Mohammed Merah hervorgebracht hat.
In Ihren Augen haben Breivik und Merah denselben Kampf geführt?
Ihre Argumente sind jedenfalls teilweise deckungsgleich. Sie symbolisieren den versteckten Bürgerkrieg, der in Europa stattfindet.
Was hat sie gedrängt, Ihr “Loblied” zu schreiben?
Zunächst einmal die formale Perfektion der Breivikschen Tat.
Letztlich sind Sie ein wenig wie Jean Genet, der vor den schwarzen Uniformen der SS in Verzückung geriet.
Ganz und gar nicht. Bei Genet gab es eine homosexuelle Dimension. Ich bin davon keineswegs fasziniert. Sodann, wenn ich fortfahren darf, war es die Art, wie man mit Breiviks Morden in Frankreich umging, die mich aufgebracht hat, vor allem ein Artikel im “Nouvel Observateur”. Dort versuchte der Journalist die Ursachen der Breivikschen Tat unter Rekurs auf Knut Hamsun und die Edda zu erklären. Er behauptete letztlich, die Literatur sei für Breivik verantwortlich. Übrigens kam ihm nicht die Frage in den Sinn, was Breivik denn zeige. Dabei wirft sein Tun gewaltige Fragen auf.
Hinsichtlich des Multikulturalismus?
Ja, sobald er zur Ideologie wird. In Frankreich ist das Thema, wie gesagt, tabu. Vor allem spricht man nicht über die Zahlen. Ich behaupte, eine massive Einwanderung kann nicht ohne Folgen bleiben. Ich lehne solch eine massive Einwanderung ab, und ich lehne es ab, dass man nicht darüber reden darf und dass man Beleidigungen über sich ergehen lassen muss, wenn man es dennoch tut.
Sind Sie Nationalist?
Ich besitze ein schmerzvolles, exzessives Bewusstsein dessen, was Frankreich einmal war. Aber heute steht Frankreich ganz ohne Vision da, es verlischt. Wir geben es auf, seine Sitten, sein Erbe, und unsere Sprache verfällt, aber wir glauben immer noch, ganz oben zu stehen.
Und in Ihren Augen ist daran die Einwanderung schuld?
Viele Immigranten haben mehr Würde als französische oder europäische Dummköpfe. Und die Asiaten oder Pakistaner haben den Willen, sich auf Frankreich einzulassen. Das gilt jedoch nicht für die Immigranten aus dem Maghreb. Sie führen einen hasserfüllten postkolonialen Diskurs, der sich gegen Frankreich richtet.
Sie arbeiten mit Pauschalisierungen.
Ich bin ein Anhänger der Assimilation. Ich meine, Ausländer müssen vergessen, woher sie kommen. Aber in Frankreich ist das unmöglich, weil das Land darauf verzichtet hat, es selbst zu sein. Weshalb sollte man sich assimilieren, wenn die einheimische Bevölkerung es ablehnt, sich mit sich selbst zu identifizieren?
Könnten Sie sich vorstellen, Frankreich zu verlassen?
Ja. Daran denke ich wirklich. Zusammen mit Großbritannien ist Frankreich das vulgärste Land Europas.
Das Gespräch führte Olivier Guez. – Aus dem Französischen übersetzt von Michael Bischoff.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.09.2012, Nr. 220, S. 27