Angriffe in Ost-Ghouta : Ein unmenschlicher Feuersturm !
MESOP NEWS : PUTIN’S HÖLLE AUF ERDEN
Von Christoph Ehrhardt , Beirut – am 24.02.2018 FAZ REPORT – Syrien bombardiert seit Tagen mit russischer Hilfe Ost-Ghouta. Krankenhäuser werden gezielt angegriffen. Und ein Angriff mit Bodentruppen könnte bevorstehen.Immer mehr Verwundete, immer weniger Verbandszeug“. Auf diese Formel bringt es Dr. Abdul Kader Schami, einer der Ärzte, die in belagerten Vorstädten im Osten von Damaskus zu retten versuchen, was zu retten ist. Aber es wird immer schwierige, je länger das Bombardement andauert. „Wir hätten so viele vor dem Tod bewahren können“, sagt er am Telefon. Dann zählt er Dinge auf, die er und die anderen Ärzte dringend benötigten, auf die sie aber nicht hoffen: „Blutkonserven, Serum, Operationsbesteck, Narkosemittel.“ Auch das Verbandszeug geht aus, von Medikamenten für Krebspatient oder Inkubatoren für Frühgeborene, die unter der Erde auf die Welt kommen, ganz schweigen. Sechs Tage dauert die Offensive des syrischen Regimes schon an. „Die Menschen erleiden Verletzungen, die ich noch nie gesehen habe“, sagt ein anderer Arzt.
Zivilisten in der Ost-Ghouta genannten Gegend sind unter Dauerbeschuss mit Fliegerbomben, Granaten und geächteten Fassbomben, die ganze Häuser dem Erdboden gleichmachen und durch die ein tödlicher Hagel von Metallsplittern und Nägeln niederprasselt. Die Menschen leben unter der Erde, verbringen ihre Tage hungrig in kalten Schutzkellern, trinken schmutziges Wasser. Manche sprechen schon vom sicheren Tod, warten darauf, dass auch am Boden der Sturm beginnt.
Luftangriffe des Regimes gehörten zum Alltag
Früher war die Ghouta ein idyllischer Ort mit fruchtbarem Boden, bewässert vom Barada-Fluss. Dann entstanden dort triste Satellitenstädte aus klobigen Zweckbauten, in denen vernachlässigte, konservative Sunniten lebten. Viele einfache Handwerker kommen aus Orten wie Douma. Im Zuge der Herrschaft von Baschar al Assad in mehrte sich ihre wirtschaftliche Not. Sie griffen früh zu den Waffen. Seit fünf Jahren belagern die Truppen von Assad die von islamistischen Brigaden kontrollierten Vorstädte. Im August 2013 schlugen dort in mehreren Orten mit dem Nervengas Sarin bestückte Raketen ein. Alles deutete auf die syrische Armee. Der damalige Präsident Barack Obama machte seine Drohung, einen militärischen Vergeltungsschlag zu führen, nicht wahr. Luftangriffe des Regimes gehörten zum Alltag, denn sie waren Teil eines Abschreckungswettbewerbs mit ungleichen Mitteln. Immer wenn Rebellen Granaten auf Wohnviertel von Damaskus abschossen, stiegen die Bomber der syrischen Luftwaffe auf.
Jetzt will das Regime den Aufstand im Umland der Hauptstadt offenbar mit aller Macht beenden. In Damaskus hatte der Unmut über den Granatbeschuss durch die Aufständischen immer weiter zugenommen. Viele Anhänger des syrischen Präsidenten jubeln über den Bombenhagel in den aufständischen Vorstädten.
Kampf um Ost-Ghuta : 250 Tote in 48 Stunden
„Ich verspreche, ich werde ihnen eine Lektion in Kampf und Feuer erteilen“, hat Assads berühmtester Heerführer in einem Propagandavideo gedroht. Suhail al Hassan, der „Tiger“ genannt, hat seine Eliteeinheit an die Ghouta-Front verlegt. Die „Tiger Forces“ sind die wohl kampfstärkste Truppe der ausgezehrten syrischen Streitkräfte. Sie sind berüchtigt für ihre Brutalität. „Ihr werdet keinen Retter finden“, drohte Shuhail al Hassan weiter. „Und wenn ihr einen findet, dann werdet ihr mit Wasser gerettet, das kochendem Öl gleicht. Ihr werdet mit Blut gerettet.“ Einiges deutet darauf hin, dass der Sturm mit Bodentruppen nicht mehr lange auf sich warten lässt. Westliche Militärbeobachter und Sprecher von Rebellenbrigaden aus der Ghouta berichten übereinstimmend, dass das Assad-Regime Truppen von anderen Fronten abgezogen und in die Umgebung der Hauptstadt verlegt hat – Flugzeuge und Hubschrauber aus der Provinz Hama, Milizionäre aus der nordwestlichen Provinz Idlib, ebenso Kräfte aus der ostsyrischen Provinz Deir el Zor.
Aber vor der Bodenoffensive werden die Zivilisten flächendeckend aus der Luft bombardiert. Den Feuersturm der vergangenen Tage, den die Menschen als die „Hölle auf Erden“ bezeichnen, beschreiben Assads Haussender als „Vorbereitungen“. Diese bestehen unter anderem darin, gezielt die medizinischen Einrichtungen anzugreifen. Solche zivile Infrastruktur soll zertrümmert werden, heißt es sowohl von Hilfsorganisationen, die örtliche Einrichtungen unterstützen, als auch von westlichen Diplomaten. Das ist ein wirkungsvolles Mittel, auf das Assad und seine Alliierten gerne zurückgreifen. Denn wo die Not der Zivilsten zunimmt, steigt auch der Druck auf die bewaffneten Gruppen an der Macht.
Akram Touma, die Nummer zwei in der medizinischen Abteilung, zeigt sich kämpferisch. „Die örtlichen Räte arbeiten weiter“, schreibt er in einer Textnachricht. Diese Arbeit bestehe derzeit vor allem darin, Rettungsarbeiten zu organisieren, Trümmer zu räumen, der Bevölkerung Schutzkeller zur Verfügung zu stellen und Nahrungsmittel aufzutreiben. „Es wird in den Kellern auch unterrichtet“, sagt er. Doch diese Arbeit sei natürlich schwer und sehr gefährlich angesichts des massiven Bombardements. Milch zum Beispiel koste fast das fünf Mal so viel wie vor Beginn der Offensive. „Es herrscht Mangel, weil der Transport gefährlich ist und auch Milchkühe getötet wurden“, berichtet Touma. In manchen Fällen seien die Verbindungswege zu den Tieren unterbrochen und es sei daher nicht mehr möglich, sie zu füttern. „Wenn das noch eine Woche weitergeht, verhungern sie“, sagt er. „Unsere Lager sind leer.“
Reichtum durch die Schmuggeltunnel
Von außen, das berichten neben dem Funktionär der Selbstverwaltung auch Ärzte und Hilfsorganisationen, gelangt nur noch sehr wenig in die belagerten Satellitenstädte. Schon gar nicht das, was die Menschen dort derzeit am dringendsten brauchen: medizinische Güter. „Die Schmuggeltunnel sind verschlossen“, heißt es unisono. Auch an den Kontrollpunkten, an denen üppiger Wegzoll den Warenfluss in die eingekesselte Region sicherte, herrsche ein strengeres Regiment. Aus Hilfsorganisationen heißt es, von Geld, das man über Mittelsmänner auf den Weg bringe, komme nur noch etwa ein sechstel an.
Lange war die Belagerungswirtschaft ein gutes Geschäft – sowohl für Rebellen, als auch für das Regime. Durch die Schmuggeltunnel wurden alle Beteiligten reich. Der Wegzoll für die unterirdischen Verbindungen stand in der Konkurrenz zum dem an den Kontrollpunkten. Der „Wafideen“-Checkpoint hat als „Millionen-Checkpoint“ Berühmtheit erlangt. „Auf jedes Kilo Waren musste man 2000 syrische Lira entrichten“, erklärt der Selbstverwaltungsfunktionär Akram Touma. „Wenn ein Kilo Zucker in Damaskus 400 Lira kostete, waren es in der Ghouta 2400 Lira.“ Die Kontrolle über die lukrativen Schmuggelrouten war ein wichtiger Grund für die Spaltung unter den islamistischen Rebellenbrigaden in der Ost-Ghouta. Ende April begannen sie, sich untereinander zu bekriegen. Das Regime konnte einfache Geländegewinne erzielen. Zwei Gruppen sind dort dominierend. Die von Saudi-Arabien geförderte „Armee des Islams“ und die „Brigade der Barmherzigen“, die von Qatar und der Türkei unterstützt wird. Letztere ist derzeit in erster Linie durch die Offensive des Regimes bedroht. Zivilisten, die die Grenzen der Reiche dieser Milizen passieren mussten, wurden an den Kontrollpunkten schikaniert. Sie litten ebenso unter den Gefechten unter den Aufständischen.
„Wir sind gut gerüstet“
Derzeit fallen sie sich offenbar nicht in den Rücken. Wael Alwan, Sprecher der „Brigade der Barmherzigen“, versichert, alle Gruppen in der Ost-Ghouta würden sich dem Regime entgegenstellen. „Wir sind gut gerüstet“, tönt er. Die „Gerüchtekampagne des Regimes“ werde die Aufständischen nicht gegeneinander aufwiegeln können. Doch es laufen schon lange Verhandlungen über einen Abzug aus der Ghouta, und das Regime setzt auf die Spaltung unter den Gruppen. Die „Armee des Islams“ stehe in dieser Angelegenheit seit etwa anderthalb Jahren mit Russland in Kontakt, sagt ein Diplomat. „Ich wäre nicht überrascht, wenn es noch einen Handel gibt.“ Das Regime hat schon Flugblätter abgeworfen mit der Aufforderung an die Aufständischen, sich zu ergeben. So war es auch in der Großstadt Aleppo, wo sich die Rebellengruppen immer mehr entzweiten, je größer der Druck wurde.
Einiges an der Ghouta-Kampagne erinnert an den brutalen Rückeroberungsfeldzug in Aleppo Ende 2016: Die Bomben auf Kliniken und Rettungskräfte, die Belagerungstaktik, die der Syrien-Sondergensandte der Vereinten Nationen, Staffan de Mistura, mit Blick auf die Ghouta als „mittelalterlich“ kritisiert hat. Die folgenlosen Appelle der internationalen Gemeinschaft, die Angriffe einzustellen und humanitäre Hilfe zuzulassen. Die Schützenhilfe Moskaus, das seinem Schützling am Ende auch hier den Rücken freihält; eigentlich ist die Ghouta eine der sogenannten „Deeskalationszonen“, die maßgeblich auf russische Initiative eingerichtet wurden. Diplomaten fürchteten am Freitag, dass Moskau im UN-Sicherheitsrat einen weiteren Versuch blockiert, eine Resolution für einen sofortigen Waffenstillstand zu erwirken. „Die Erfahrungen mit der Befreiung von Aleppo-Stadt von Extremisten könnte in der Ost-Ghouta genutzt werden“, sagte der russische Außenminister Sergej Lawrow vor einigen Tagen.