Ableistische Hassrede : Greta Thunberg als seelenloser Cyborg

GRETA THE GREAT IST DAS NEUE ENDGÜLTIGE  SUBJEKT

MESOPOTAMIA NEWS : SPLENDIG MALADIE / WIE DIE FAZ BEMÜHT IST, EINE KRANKHEIT ZU VERTEIDIGEN – INDEM SIE DIESE GLORIFIZIERT /

  • Von Novina Göhlsdorf  – FAZ  – -Aktualisiert am 12.08.2019-11:16

Wenn Philosophen hassen: Der Franzose Michel Onfray mag Greta Thunberg nicht. Das sagt er aber nicht so. Er probierte es lieber mit der Pathologisierung der jungen Schwedin. Ein Gastbeitrag.

Der französische Philosoph Michel Onfray möchte aufklären. Nachdem Greta Thunberg am 23. Juli eine Ansprache vor dem Parlament in Paris gehalten hat, gab er in einem ausschweifenden Essay auf seiner Webseite bekannt: Thunberg sei weder Mensch noch Mädchen. Sie sei ein Maschinenwesen, mit „Gesicht, Alter, Geschlecht und Körper eines Cyborg“.

Onfray irrlichtert in seinem Text gegen so Einiges. Gegen den Einfall, dass die Erderwärmung von Menschen verursacht sei. Gegen die Umweltbewegung („grüner Kapitalismus“). Gegen die Wissenschaft, auf die Thunberg sich beruft („technokratisch“). Gegen den blinden Aufstand der ungebildeten Jugend („Schafe“). Gegen jene „progressiven“ Erwachsenen, die ein Geschöpf wie Thunberg erst hervorgebracht hätten. Aber Onfrays wichtigste Botschaft lautet: Mit Greta Thunberg werde ein neuer Jungfrauen-Typus verehrt, der nichts Menschliches oder wenigstens Weibliches habe.

Weder menschlich noch weiblich

Thunberg stehe für den Verfall des Humanen, auf den wir zusteuern. Sie sei Prophetin einer nihilistischen Offenbarung, Begründerin einer Religion, deren Bibel die Dossiers des Weltklimarats sind. Sie habe die Nationalversammlung „geohrfeigt“, „geschlagen“ und „ausgepeitscht“. Und das masochistische Publikum habe Beifall geklatscht, pervers angezogen von einer leblosen Präpubertären. Thunberg verbreite Angst und Gewalt. Sie beleidige die Maxime der Aufklärung – Denken, Reflexion und Debatte. Diese Maxime glaubt Onfray mit seiner Schrift zu verteidigen.

Onfray nennt Thunberg selten beim Namen. Er nennt sie „den schwedischen Cyborg“. Was ihn tief beunruhigt, ist ihr Körper. Ein „Antikörper“ , „fleischlos“, wie der von „Silikonpuppen“. Ihr Gesicht sei aus Latex, aufgespannt mit „Stecknadeln des Nichts“. Im französischen Parlament habe „künstliche Intelligenz“ gesprochen – beziehungsweise, so legt er es nahe, Daten ausgeworfen. Daten ausgespuckt. Mit einer Stimme, „weiß wie der Tod“.

Onfray fragt, was für eine Seele Thunberg habe und hat keine Antwort. Sie zeige ein „Cyborg-Gesicht, das Emotionen ignoriert – weder Lächeln noch Lachen, weder Überraschung noch Staunen, weder Schmerz noch Freude“. Onfray spricht Thunberg unumwunden das Menschsein ab, schreibt sie buchstäblich tot. Seine Polemik gerät dort zur Hassrede, wo er versucht, sie mit Worten zu vernichten.

Klimaschutz : Greta im Hambacher Forst

Der Cyborg ist für Onfray dabei vor allem eine Chiffre. In einer verwickelten Textstelle heißt es, Journalisten teilten uns mit, dass Thunberg autistisch sei. Sie täten es ganz vorsichtig. Denn „man muss es sagen, ohne es zu sagen, um es dennoch zu sagen“, spottet Onfray und wiederholt kokett-ironisch genau diese Geste.

Er beteuert: „Ich lasse die Information beiseite“ – die Information über Thunbergs Autismus. Die political correctness, das Gutmenschentum verbiete es, das A-Wort zu gebrauchen. „Also sagen wir es, aber wir haben nichts gesagt.“ Hier meint Onfray sich selbst. Er deutet an und leugnet zugleich, dass er Thunberg auch für ihren Autismus diffamiert. So offen feindselig sein Pamphlet ansonsten ist, so subtil-versteckt tänzelt seine bedenklichste Beschimpfung daher.

Diese Einlassung, die sich als Auslassung gibt, macht sein Cyborg-Gedresche zur Beschwörung traditionsreicher Bilder des Autisten. Es sind Bilder, mit denen sich Phantasien von unmenschlich-unheimlichen Gefahrenwesen effektiv erregen und verstärken lassen. Seit seiner klinischen Erstbeschreibung als eigenständiges Syndrom um 1940 begreift man Autismus als Beziehungsproblem, als Boykott des Zwischenmenschlichen. Bis heute wird er als Störung von Sozialverhalten und kommunikativer Kompetenz bestimmt.

Autistisch – „selbstisch“ – bedeutet vielen nach wie vor: verschlossen, entzogen, rätselhaft. In psychiatrischen Studien, Romanen oder Filmen zeichnete man den Autisten jahrzehntelang als gefühllos, kalt und leer, als Roboter oder Alien. In ihm lauerte, so wurde suggeriert, das maximal Fremde. Unzählige Darstellungen verorten ihn routiniert außerhalb des Menschlichen. Das gilt sogar für freundliche Gestalten wie Rain Man, der, Telefonbücher memorierend und Streichhölzer zählend, den „hochfunktionalen Autismus“ in die Popkultur einführte.

Varianten des Autismus

Der gleichnamige Spielfilm von Barry Levinson, mit Tom Cruise und Dustin Hoffman in den Hauptrollen, koppelte Autismus 1988 an Sonderbegabungen, was ihn nicht weniger außerordentlich machte. Zumal Hoffman sich als idiosynkratische Rechenmaschine gerierte.

Die meisten Nicht-Autisten jedenfalls kennen Autismus-Darstellungen und keine Autisten. Onfray zapft somit einen weiten Pool vager Imaginationen an, wenn er Thunberg Empfindungslosigkeit unterstellt oder sie zum Automaten der unfreundlichen Sorte erklärt. Dass er ihren Autismus nur verdeckt ins Spiel bringt, ist geschickt, allein, weil er sich nicht dem Vorwurf der Diskriminierung aussetzt. Autismus-Geißelungen scheinen jedoch gerade wieder salonfähig zu werden, zumindest im neuen Genre der Thunberg-Hetzschrift: Der australische Kolumnist Andrew Bolt, wie Onfray 60-Jahre alt und aufgebracht, bezeichnete die 16-jährige Schwedin kürzlich in der „Herald Sun“ als den „tief gestörten Messias der Umweltbewegung“.

Ihre rigorose Entschiedenheit rühre aus dem, was man – ist man nicht selbst umnachtet – als „Behinderung“ diagnostizieren müsste. Ihre Angst vor der Klimakrise sei Symptom ihres Asperger-Syndroms – eine Variante des Autismus. Bolt will Thunberg disqualifizieren, indem er sie und ihr Engagement pathologisiert. Seine Kolumne hat Autismus-Communities erzürnt. Doch Onfrays verkapptes Bashing des Autismus, den er diffus mit eisigen Cyborgs und dem Ende des Menschen vermengt, ist am Ende drastischer.

Übrigens sieht Thunberg selbst den Autismus als Quelle ihres Erfolgs, weil er ihr einen anderen Blick auf die Welt erlaube. Außerdem halte sie sich, anders als Nicht-Autisten, nie mit sozialen Befindlichkeitsbrimborien auf und könne sich ganz ihrem Spezialinteresse widmen: dem Klima. Viele Selbst- und Fremdschilderungen Thunbergs lassen sie emblematisch werden für die jüngste Art, den Autisten zu denken: als „Neuen Menschen“ des dritten Jahrtausends. Zwar leben alte Stereotype fort. Aber die Konjunktur des Autismus als populäres und öffentliches Phänomen und die zunehmenden Äußerungen autistischer Menschen haben bewirkt, dass er häufig nicht mehr als Störung, sondern als Chance ausgemalt wird.

Der „Rain-Man-Effekt“

Das liegt nicht bloß am sogenannten „Rain Man Effekt“ – der Verquickung von Autismus und Genialität. Seit etwa zwanzig Jahren werden im Autismus-Diskurs gängige Vorstellungen fundamental umgewertet: Aus dem Androiden wird eine Person, die innige Verhältnisse zu Technologien pflegt und von SAP oder Siemens als perfekter Arbeitnehmer umworben wird.

Autisten begreifen sich deshalb nicht als künstliche Intelligenzen, doch verstehen sich, wie es mitunter heißt, gut mit ihnen. Aus dem ewig Schweigenden wird einer, der nonverbale Kommunikationsformen ohne Blickkontaktdruck vorführt. Aus der Beziehungslosen wird ein Wesen, das intensiver als Nicht-Autisten verbunden ist mit Tieren, Dingen oder Apparaten. Aus dem Gefühlsarmen wird jemand, der besonders starke Affekte erlebt. All das plaziert Autismus nicht jenseits des Humanen. Es trägt dazu bei, die Umrisse dessen zu erweitern, was als menschlich verhandelt wird.

Autismus wird also derzeit von manchen auch gefeiert und gewollt. Als solcher eignet er sich nicht mehr als Mittel zur Verunglimpfung. Allerdings ist das für einen Aufklärer wie Onfray wohl schwer zu fassen. Man kann nur hoffen, dass seine Tiraden als das erkannt werden, was sie sind: ein so perfider wie müder Abgesang aufs Gestrige.

Die Autorin arbeitet am Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung (ZfL) in Berlin am Projekt „,Total Strangers‘? Der Autist als Sozialfigur der Gegenwart“.

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