MESOP NEWS “DEUTUNGEN” : Zur Psychoanalyse des Nationalsozialismus

ANALSADISTISCHE SÄUBERER & REINIGER & ÜBERWACHER

Otto Fenichel zu Grant Duffs Erwägungen / Flucht in die Homosexualität und deren Abwehr zugleich

Zur Psychoanalyse des Nationalsozialismus:

>Miss Grant Duff sandte mir das Manuskript ihres in London gehaltenen Vortrages über ›Mein Kampf‹ mit einem Begleitschreiben, in dem sie mich u.a. um meine Meinung bezgl. einer Veröffentlichung frägt. Das ›Journal‹ komme als offizielle Zeitschrift nicht in Betracht, doch habe Feigenbaum sich bereit erklärt, die Arbeit im ›Quarterly‹ zu publizieren. Die Arbeit selbst ist sehr mager und begnügt sich damit, H[itler] als Paranoiker zu analysieren und mit Schreber zu vergleichen. Sie beginnt: H[itler]s. Ziel in ›Mein Kampf‹ sei, Ziele und Entwicklung der NSDAP zu schildern und dabei zu zeigen, wie er selbst zu dem wurde, was er ist. Bei diesem Bestreben gebe er uns Einsicht in die Rationalisierungen unbewußter paranoider Phantasien. Es folgt Inhaltsangabe und Stilcharakterisierung, die besonders die ›anale Ideologie‹ und die Tendenz hervorhebt, Aggressionsneigungen zu rechtfertigen. Aus der Lebensgeschichte werden besonders die Bedeutung des Todes des Vaters und der Zusammenfall des Entschlusses, Politiker zu werden, mit der Heilung der hysterischen Amaurose betont. Dann heißt es unvermittelt: »Vergleichen wir nun das Material mit dem im Fall Schreber …«, so finden wir Ähnlichkeiten und Differenzen. Der vollzogene Weltuntergang und Gottes Grausamkeit dort wird der von Seiten der Juden drohenden Weltzerstörung hier verglichen, sodann H[itler]s. reichliches Kastrationsmaterial als solches zusammengestellt, in der Rassetheorie (›Blutschande‹) der kastrationsbedrohte Inzest gezeichnet – höhere Rassen sind männlich, niedere weiblich (kastriert); abgewehrt werde dies zunächst durch analsadistische Regression und Flucht in die Homosexualität; das Vorhandensein von beiden wird reichlich gezeigt, dabei fällt der Satz von der Bereitschaft, für das Vaterland zu sterben, als einem Zeichen einer femininen Identifizierung.

Endlich weise die ›Vergiftung des Volkskörpers‹ u dgl. auf Kleinsche oralsadistische Konflikte. ›Drückeberger‹ sei ein analer Ausdruck, zu der von H.[itler] angesichts der in der inneren Stadt von Wien herumstehenden polnischen Juden gestellten Frage: »Sind das Deutsche?!« bemerkt Grant Duff: »Narzißmus der kleinen Unterschiede«. Die Juden in der ›inneren‹ Stadt seien ein Hinweis auf die Gültigkeit der (mit anderem Material besser belegten) symbolischen Gleichung Jude = Kot. Diese entspräche der Verfolgungstheorie von Stärcke und Ophuijsen. Der Wahn diene wie bei Schreber der Selbstrechtfertigung, der Erlangung des Allmachtsgefühles in der Gottesauserwähltheit. Führertum basiere u.a. auf dem Narzißmus der Sphinkterbeherrschung (›braunes‹ Haus, ›braune‹ Truppen).

Ich antwortete mit folgender Kritik:

»Ich habe es mit großem Interesse gelesen, mich sehr gefreut, daß ein Kollege von uns sich einmal dieses Thema vorgenommen hat (vielen Dank dafür!), war aber trotzdem nach der Lektüre etwas enttäuscht und habe Zweifel, ob eine Veröffentlichung in dieser Form (gleichgültig wo) ratsam wäre. Ich weiß nicht, ob es mir gelingen kann, diese Enttäuschung in Worte zu fassen, will es aber versuchen: Sie wissen, man sagt meinen Kritiken ›Strenge‹ nach, aber sie sind nicht schlimm gemeint, und ich denke, Ihnen gegenüber brauche ich mir kein Blatt vor den Mund zu nehmen. 1. Man spürt zwischen den Zeilen, daß Sie sich mehr gedacht haben, mehr Beweismaterial haben, mehr Übergänge von einem Deutungsinhalt zum anderen, mehr Einsicht in ›Dynamik‹ und ›Ökonomik‹, als das, was Sie geschrieben haben, wirklich ausdrückt. So, wie es jetzt dasteht, machen alle Deutungen einen so ›statischen‹, bloß Inhalte übersetzenden Eindruck. 2. Sie beschränken sich zwar auf eine Analyse H[itler]s. Es mag Ihnen klar gewesensein, daß das nicht bedeutet ›Analyse des Nationalsozialismus‹. Allen Ihren Lesern würde dieser Unterschied aber nicht klar sein. – Paranoiker, die ›politisch‹ verschieben, gibt es viele auf der Welt; das Problem dieses einen Paranoikers im Gegensatz zu den anderen liegt in seinem Erfolg. Über den sagen Sie gar nichts aus. – Nun glaube ich zwar, daß es zum Verständnis dieses Erfolges in erster Linie einer gesellschaftlichen a) ökonomischen, b) politischen und ›ideologischen‹ Analyse des gegenwärtigen Deutschland, Europas und der Erde bedürfe und nicht einer Psychoanalyse der unbewußten Inhalte der Ideologien ›Rasselehre‹, ›Antisemitismus‹ etc. – Den noch kann die Psychoanalyse auch solcher Analyse wertvolle Hilfe leisten, indem sie durch ihre Erkenntnisse jener unbewußten Inhalte – die Bedeutung ihrer Verarbeitungen innerhalb der gerade gegenwärtigen Situation erfaßt. (Ansätze dazu z.B. in Reich ›Massenpsychologie des Faschismus‹, aber auch dort nicht spezifisch genug.) Davon findet sich in Ihrer Arbeit nichts; denn: Ödipuskomplex, präödipaler Oralsadismus, projektive Abwehr der Homosexualität und auch politische Erledigung dieser Dinge – das ist alles ubiquitär; nun können Sie antworten: ›Das wollte ich auch nicht. Ich wollte nur das eine Buch als Ausdruck eines Wahnsystems und die unbewußte Bedeutung dieses Wahnsystems darlegen.‹ Und es ist Ihr gutes Recht, sich den Gegenstand Ihrer Untersuchung freiwillig zu wählen. Dennoch würde ich Ihnen darauf zweierlei erwidern: a) daß Sie diese Ihre Beschränkung noch ausdrücklicher hätten betonen sollen, weil der Leser ja doch meint, Sie hätten mehr gewollt, b) daß Sie mit solcher Beschränkung eigentlich auf alles Interessante des Falles H[itler] verzichtet haben und nur Uninteressantes behandeln, das an jeder klinischen Paranoia besser zu zeigen wäre. – 3. Auch innerhalb der rein inhaltlichen Deutungen ist etwas auszusetzen: ihr sprunghafter und ›übersetzungs‹artiger Charakter. Sie nennen etwa den Arier ›männlich‹, den Juden ›weiblich, kastriert‹. Das ist richtig. Aber eine oberflächliche Schicht, die nicht übersprungen werden sollte, sagt hier mehr: der Arier ist ›rein‹, d.h. ›ideal asexuell‹, der Jude ›triebhaft‹, ›sexuell‹. Nun ist aber ›Trieb‹ bei H. überhaupt anal perzipiert, deshalb ist er ›schmutzig‹; der Kastrationskomplex spielt dann dadurch herein, daß die ›Verachtung‹ des Sexuellen nur eine Folge der Angst vor dem Sexuellen ist; der ›Jude‹ als der ›Sexuelle‹ ist dann der ›Schmutzige‹, aber auch der ›Gefährliche, der mit Kastration zu tun hat (aktiv und passiv)‹. Diese Angst vor dem Sexuellen – Angst vor der Syphilis = vor dem Schmutzigen – entspricht den Vorstellungen von der ›Blutschande‹ (deren Inzestbedeutung erst die tiefere Schicht ist). – Daß das Abgewehrte dann wiederkehrt als ›braune‹ Helden- und Grausamkeits-Verherrlichung ist richtig. Die Ablenkung, die die Aggression bei diesem Durchgang durch die Abwehr durchgemacht hat, ist dann das Moment, das dieses ›Wahnsystem‹ so brauchbar für politische Zwecke macht (›Umbiegung der revolutionären Energien der Massen zu reaktionären Zwecken‹). Und nun beginnt die ungeheure sub 2) angedeutete Problematik, die Sie nicht angehen. – Nun: Sie deuten ja in Ihrer Arbeit gelegentlich Ähnliches an. Aber es bleibt Andeutung, was im Zentrum stehen müßte. – War die Gasblindheit vielleicht nicht – nicht nur hysterisch, sondern über haupt nicht vorhanden und nur nachträgliche Lüge? Wissen Sie darüber etwas Sicheres? – Richtig ist die Bemerkung, daß das ›dulci et decorumst pro patria mori‹ aus femininer Identifizierung des Mannes stammen mag. Aber nicht nur! Vaterlandsliebe ist immer ›Hingabe‹; aber nicht immer ›an den Vater‹, sondern an die ›allumfassende Mutter, die noch (oder wieder) Ichqualität hat‹. Darüber will ich nächstens mehr schreiben. ›Drückeberger‹ ist ein allgemein gebräuchlicher Ausdruck für ›dem Militärdienst Ausweicher‹, nicht ein spezifisch analer Ausdruck H[itler]s. Ebenso würde ich die Symbolik der ›inneren Stadt‹ in Wien gering einschätzen, denn dort waren eben realiter die im Kriege nach Wien geflüchteten Galizianer Ostjuden zu sehen, die in Tracht und Aussehen tatsächlich von dem in Wien Üblichen erheblich abwichen! (Und zwar im Sinne des Archaischen abwichen! Das macht die Juden so ›unheimlich‹: Sie haben ›schon überwundene‹ Sitten noch beibehalten!) Das ist wohl nicht ein ›Narzißmus der kleinen Unterschiede‹, denn die Unterschiede sind nicht so klein. – Dagegen ist sicher richtig, daß H[itler] wie Schreber selbst an seine ›Gottesberufenheit‹ glaubt.<<

(Otto Fenichel – 16. Rundbrief vom 26.04.1935, In, 119 Rundbriefe, Die Deutsche Bibliothek, Frankfurt am Main, 1998, S. 214 – 217)