Kevin allein auf der Welt – Der Fall Spacey, menschlich betrachtet (Ridley Scott schneidet Spacey nachträglich aus allen Filmen)

MESOP NEWS : EIN AUSSÄTZIGER IN  LBGTQ-CULTURE-TIMES / US Schwulenverbände distanzieren sich von Kevin Spacey

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG / Von Edo Reents

9 Nov 2017 – Im Handumdrehen hat die Öffentlichkeit aus Kevin Spacey jemanden gemacht, der sich nirgends mehr blicken lassen kann. Von allen, die beruflich mit ihm zu tun hatten, wurde er, auf bloßes Hörensagen hin, fallengelassen wie eine heiße Kartoffel. Wenn er Pech hat und die schlimmsten Philister sich durchsetzen, könnten ihm sogar noch seine Oscars aberkannt werden.

Ein heute vierundvierzigjähriger Mann hatte behauptet, von Spacey vor mehr als dreißig Jahren auf einer Party körperlich bedrängt worden zu sein, in betrunkenem Zustand. Spacey hat daraufhin Folgendes erklärt: Er könne sich daran zwar nicht mehr erinnern, aber sollte der Mann dadurch (seelischen) Schaden erlitten haben, tue es ihm leid. Mehr konnte er gar nicht tun. Ob es klug von ihm war, in dem Zusammenhang seine Homosexualität einzugestehen, steht auf einem anderen Blatt. Sonst hat man ja eher den Eindruck, es könne gar nicht genug Outings geben, damit die Gesellschaft immer weiter voranschreitet auf ihrem Weg zur Unverklemmtheit und Wahrhaftigkeit. Die hysterische Reaktion der Homosexuellen-Lobby, Spacey habe ihr mit seinem Outing geschadet, indem er den Eindruck erweckt habe, Homosexuelle neigten gewissermaßen von Haus aus zu dem in Rede stehenden Verhalten, beruhte jedenfalls schon auf der Annahme, dass an den Anschuldigungen überhaupt etwas dran ist.

Das war der erste, wohl nicht mehr wiedergutzumachende Verfahrensfehler. Was genau passiert ist, weiß man genauso wenig wie im ungleich gravierender scheinenden Fall des Harvey Weinstein, bei dem Ermittlungen noch vor dessen Bekanntwerden eingestellt wurden. Aber darauf kommt es auch gar nicht mehr an. Im Zuge einer aus dem Ruder laufenden Berichterstattung, die jede Beschuldigung ungeprüft weiterverbreitet, steckt man eben die unterschiedlichsten Männer in einen Sack und haut drauf, man trifft ja immer den richtigen.

Und wenn nicht? Zu denken geben müsste der Öffentlichkeit eigentlich der am 26. Oktober, als der Weinstein-Casus längst bekannt war, von der ARD gesendete und von der unerschrockenen Anja Reschke moderierte „Panorama”-Beitrag über Jörg Kachelmann. Der Fernseh-Meteorologe hat sich mit Frau und Kind irgendwo in den Bergen verkrochen und Mühe, seine Verbitterung darüber zu verbergen, dass nach seinem Freispruch praktisch kein Hahn kräht. Erschreckend die Einlassung einer Passantin, die wohl als Volkes Stimme dienen soll: Sie habe immer noch und „intuitiv das Gefühl, dass da auch ein bisschen Wahrheit dran war, aber das ist jetzt auch so ‘n Bauchgefühl”. Der Kachelmann von Anfang an feindlich gesonnenen Mannheimer Staatsanwaltschaft, die auch nicht viel mehr als ein Bauchgefühl gehabt haben kann, wurde es gerichtlich untersagt, noch weiter von irgendwelchen DNA-Beweisen zu faseln, die Kachelmann angeblich doch überführt hätten. Die Beschuldigerin hat, so das Gericht, Kachelmann „vorsätzlich wahrheitswidrig der Vergewaltigung bezichtigt” und sich die Verletzungen selbst zugefügt. Aber es hilft alles nichts. Kachelmann ist jetzt ruiniert und die ARD, die ihn damals natürlich sofort fallenließ, wahrscheinlich zu feige dazu, ihn zurückzunehmen.

Jeder Fall ist anders, über keinen gibt es letztgültige Gewissheit. Trotzdem werden sie derzeit unter „Sexismus” verbucht und die Unterschiede zwischen Vergewaltigung, Nötigung, Grabschen und Flirtversuchen kassiert. Dies ist in etwa das Spektrum an Vergehen, die Spacey zur Last gelegt werden, allerdings noch von keinem Gericht. Im Namen des Volkes erging aber schon das Urteil. Dass die Öffentlichkeit den Eifer, mit dem sie unbewiesene und wahrscheinlich auch schwer beweisbare Tatbestände zum Anlass nimmt, eine Sexismus-Debatte zu führen, lieber darauf verwenden sollte, rechtsstaatliche Standards zu wahren, ist nur noch ein frommer Wunsch. Wie groß die Wucht ist, die in solchen Fällen binnen kurzem entfaltet wird, wurde schon bei Kachelmann deutlich. Die Betrügerin ließ nach ihrer Verurteilung ausrichten: „Man will uns Frauen stumm schalten, damit das gesellschaftliche Machtgefüge im männerbündischen Täterstaat Deutschland nicht in Gefahr gerät.” Täterstaat: Dieses Wort weckt schlimmste Assoziationen, die geschichtsvergessene Unverhältnismäßigkeit ist empörend.

Man mag von Weinstein auf die Verkommenheit eines ganzen Gewerbes schließen; hier gibt es nichts zu verharmlosen, allerdings auch nichts vorzuverurteilen. Kevin Spaceys Schicksal lässt nun ganz andere Rückschlüsse auf ein gewisses Milieu zu: Haben denn alle Angst davor, sich bei ihm mit dem Virus „Sexismus” zu infizieren und sich dabei finanziell zu ruinieren? Gibt es niemanden, der zu ihm, ihn gar für unschuldig hält? Freunde scheint er nicht zu haben. Beistand wäre noch keine Rechtfertigung erst noch aufzuklärender Vergehen. Zwar haben es Studios, Produktionsfirmen und Agenten mit Summen zu tun, die zur Vorsicht zwingen. Aber dass ein Begriff wie „Loyalität” hier so gar nichts zählen soll, ist bestürzend. EDO REENTS