MESOP CULTURE „LINKER POPULISMUS“ : DIE EINEN JAHRELANG EINEN ‚RASSISTEN‘ NANNTEN, WEIL MAN GEGEN EINE ERDOGAN-TÜRKEI IN DER EU WAR – WÜTEN NUN WIE ENTFESSELT !

Nachrichtliches Netz in Europa Erdogans lange Fäden –  Die Türkei hat in Europa ein nachrichtendienstliches Netz gespannt. Das sagt jedenfalls der Grüne Peter Pilz aus Österreich. Wie kommt er zu dieser Annahme?

12.03.2017, von Stephan Löwenstein – FAZ – Wien

Gegen Ende des Gesprächs kommt Peter Pilz so richtig in Fahrt. Und wenn er in Fahrt kommt, dann bedient er sich gerne etwas stärker des Tonfalls seiner Heimat Kapfenberg in der Steiermark: „Ich sag, machts euren Fasching halt weiter, rennts rum mit Erdogan-Bildern, lassts euch auslachen über euren schiachen (hässlichen; Red.) Präsidenten, das ist euer gutes Recht. Aber spielts nicht türkischer Staat hier.“ Der so vom Leder zieht, ist nicht etwa ein Provinzpolitiker der rechten Partei FPÖ, sondern ein österreichischer Grüner.

Neben seinem alten Lieblingsthema, Korruptionsvorwürfen im Zusammenhang mit der Beschaffung von Eurofighter-Kampfflugzeugen in der Zeit der konservativen Regierung Wolfgang Schüssel, ist er dieser Tage mit noch einem weiteren ständig auf Sendung: wie weit und wirkungsvoll der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und seine Partei AKP in Österreich ihre Netze gespannt haben. Pilz meint: viel zu weit und viel zu wirkungsvoll. Pilz fordert mit starken Worten eine starke Antwort des heimischen Rechtsstaats.

Das klingt dann so: „Wenn ihr türkische Verhältnisse nach Wien importiert, dann werden wir euch exportieren – wenn wir euch nicht vor Gericht stellen.“ Wen meint er mit „ihr“? „Die Erdogan-Herrschaften, die hierherkommen, um den österreichischen Rechtsstaat zu ignorieren und ihre eigenen Parteirechte über unseren Rechtsstaat stellen.“ Für Pilz ist die Sache „watscheneinfach“: „Der europäische Rechtsstaat ist zehnmal stärker als die Erdogan-Willkür in und außerhalb der Türkei. Ausschließlich mit dessen Mitteln werden wir zeigen, wo die Grenzen sind. Diese Erdogan-Stasi in Österreich wird zerschlagen in ihre kleinsten Teile. Und jeder dieser Teile wird rechtsstaatlich behandelt.“ Erdogan-Stasi, das ist so ein Ausdruck des grünen Altvorderen: ebenso polemisch wie eingängig.

Sucht Pilz nur  Aufmerksamkeit?

Die längste Zeit seiner politischen Karriere, und die währt schon seit mehr als dreißig Jahren, ging er damit vor allem den Regierenden in Wien auf die Nerven. Pilz ist – bei allen Unterschieden – so etwas wie der Christian Ströbele der österreichischen Grünen: Bürgerschreck, Hansdampf in allen Gassen, um einen schlagzeilenträchtigen Spruch nie verlegen. Und wie Ströbele war auch Pilz Anfang der neunziger Jahre mal Grünen-Vorsitzender, musste das Amt nach kurzer Zeit wieder abgeben und durfte dann feststellen, dass er als freies Radikal sehr viel mehr Einfluss ausüben konnte als im Parteiamt – durchaus auch mal zum Leidwesen der amtierenden Parteiführung. Mit Eva Glawischnig, der Grünen-Vorsitzenden, ist Pilz erst im vergangenen Jahr aneinandergeraten, als er die Grünen aufforderte, dem rechten Populismus der FPÖ einen „linken Populismus“ der Grünen entgegenzusetzen.

Pilz hat freilich nicht nur Sprüche in petto. Ziemlich akribisch hat er – mit seinem Team, wie er betont – Material zusammengetragen, um die nach seiner Auffassung unlautere Tätigkeit von Erdogans Netzwerk zu dokumentieren. Der Staatsanwaltschaft Wien erschien es immerhin stichhaltig genug, um Ermittlungen wegen des Verdachts auf nachrichtendienstliche Tätigkeit einzuleiten.

Es geht dabei vor allem um die „Türkisch Islamische Union für Kulturelle und Soziale Zusammenarbeit in Österreich“ Atib. Das ist – wie in Deutschland die Ditib – so etwas wie der verlängerte Arm der türkischen Religionsbehörde Diyanet. Vorsitzender der Atib ist satzungsgemäß der Religionsattaché an der türkischen Botschaft in Wien, und im Aufsichtsgremium sitzen die Diyanet-Oberen in Ankara. Die Atib weist den Vorwurf zurück, dem türkischen Staat bei der Verfolgung mutmaßlicher Oppositioneller zu helfen. Man lasse „ein Einmischen aus dem Ausland keinesfalls zu“. Pilz wolle sich nur selbst profilieren und suche Aufmerksamkeit.

Der österreichische Grüne Peter Pilz vermutet, Erdogan betreibe in ganz Europa einen nachrichtlichen Geheimdienst.

Der Grünen-Politiker stützt sich unter anderem auf einen Aufruf von Diyanet, der an alle Botschaftsattachés geschickt wurde. Sie sollten alles über die oppositionelle Gülen-Bewegung herausbekommen, von den Schulen bis zu den politischen Aktivitäten, und nach Ankara melden. In Deutschland, wo die Ditib-Spitze ähnlich konstruiert ist, hat der gleiche Aufruf die Aufmerksamkeit der Ermittlungsbehörden hervorgerufen. Allerdings hat man noch kein Antwortschreiben gefunden, wie es Pilz vom Salzburger Konsulat, das gleichzeitig als Atib-Zweigstelle dient, veröffentlicht hat. Darin wird nicht nur über die Tätigkeit der Gülen-Anhänger berichtet, sondern auch gemeldet, dass man bereits Bücher, CDs, Zeitschriften und dergleichen vernichtet habe.

„Das darf nicht eine Erdogan-Geheimpolizei machen“

Gülen wird von Erdogan für den blutigen Putschversuch im vergangenen Jahr verantwortlich gemacht und als Terror-Pate dargestellt. Und auch der inzwischen abgelöste Atib-Vorsitzende und Religionsattaché Fatih Karas bestätigte zwar die Echtheit der Dokumente, sprach aber nur von „Untersuchungen“, die vorgenommen worden seien, um festzustellen, „ob nicht auch hier in Österreich türkischstämmige Mitbürger von Gülen beeinflusst und missbraucht oder radikalisiert wurden und auch hier eine falsche Glaubenslehre verbreitet wurde“.

Ist das nicht legitim? Pilz sagt dazu: „Wenn die Botschaft oder die Regierung in Ankara der Meinung ist, die Gülen-Bewegung begeht irgendwelche strafbaren Handlungen in Österreich, dann gibt es eine Adresse, das ist die österreichische Staatsanwaltschaft. Aber nicht der türkische Religionsattaché. Das darf nicht eine Erdogan-Geheimpolizei und eine Erdogan-Paralleljustiz in Österreich machen.“ Um darzustellen, wie sich das offenbar auswirkt, stellte der umtriebige Grüne am Donnerstag auf einer Presseveranstaltung zwei Männer vor, Einwanderer aus der Türkei, die seit Jahrzehnten österreichische Staatsbürger sind. Sie heißen Refet Eski und Kazim Özaslan. Beide wurden im vergangenen Jahr am Flughafen Istanbul festgenommen, als sie Verwandte in der Türkei besuchen wollten. Insgesamt fünf derartige Fälle seit 2015 hat Pilz nach eigenen Angaben dokumentiert, aber es gebe zahlreiche weitere.

Bei Eski erschien offenbar eine Meldung bei der Passkontrolle. Er wurde abgeführt, in einen Verhörraum gebracht und befragt. Was genau ihm vorgeworfen wurde, erfuhr er nicht, nur: „Sie haben Einreiseverbot.“ Nach 24 Stunden in einer Zelle mit zwanzig Leuten aus Zentralasien musste er ein Flugzeug zurück nehmen. Ein Mitarbeiter der türkischen Fluglinie gab den österreichischen Polizisten, die ihn in Wien-Schwechat erwarteten, ein Kuvert mit Pass und einem Dokument. Es besagt, dass er „wegen Sicherheitsgefährdung“ nicht einreisen dürfe. Bezug genommen wird auf einen Paragraphen des türkischen Einreisegesetzes: Personen, die „außerhalb der Türkei“ Unannehmlichkeiten verursachen in Bezug auf Sicherheit, Gesundheit und dergleichen, kann demnach die Einreise untersagt werden.

Schärfer noch wurde Özaslan behandelt, ein Gastwirt aus Pilz’ steirischer Heimat. Er wurde drei Tage festgehalten, in einer kalten Zelle ohne Bett und Decke und vor allem ohne die Möglichkeit, irgendjemanden zu informieren (auch nicht die österreichische Botschaft, was ihm als Nichtdoppelstaatler zugestanden hätte). Das Mobiltelefon wurde ihm abgenommen, die Daten daraus vor seinen Augen kopiert. Auch Özaslan erhielt keine Erklärung. Er wurde nach seiner Abschiebung beim türkischen Generalkonsulat vorstellig und erhielt schließlich eine merkwürdige Antwort: Es bestehe das Risiko, dass er nach Syrien oder in den Irak in den Krieg gehe. Özaslan ist 55 und hat zu Hause Frau und Kinder.

Österreich sei nur ein Beispiel für ein Muster

Interessant ist in seinem Fall auch, dass er aus der Menge der aussteigenden Passagiere herausgegriffen wurde, noch ehe er an die Passkontrolle kam. Woher wussten die Polizisten, wer er war? Hatte jemand vorab sein Bild übermittelt? Özaslan bezeichnet sich selbst als politischen Menschen, der sich offen kritisch über Erdogan äußere – auch in seinem Gasthaus, wo er oft nach der Türkei gefragt werde. Immerhin, dass es eine Akte über ihn in der Türkei gab, wäre auch ohne die Vermutung einer Bespitzelung in Österreich plausibel. Nach eigenen Angaben war er, als er noch in der Türkei lebte, in linksoppositionellen Kreisen aktiv und saß nach dem Militärputsch von 1980 im Gefängnis. So wie auch Eski, wie er sagt, vor 30 Jahren wegen „kurdischer Propaganda“ im Gefängnis war. Er erhielt in Österreich politisches Asyl.

Dann berichtet Pilz – allerdings ohne Namen – noch über einen Fall vom Februar. Auch dieser Mann sei schon vor der Passkontrolle festgenommen worden. Und er sage aus, dass die Beamten ihm vorgehalten hätten, er habe „schlecht über Erdogan geredet“, ihn „als Diktator bezeichnet“, es gebe „Beschwerden aus Österreich über seine Person“.

Österreich ist nach Pilz’ Darstellung nur ein Beispiel für ein Muster. Er habe ähnliche Dokumente aus 35 Staaten. Und er habe – als Mitglied eines vertraulich tagenden Ausschusses – Erkenntnisse über nachrichtendienstliche Tätigkeit des türkischen Geheimdienstes MIT, über die er nur allgemein reden dürfe. „Ich kann sagen: Speziell der politische Arm wird vom MIT angeleitet. Die Sammlung von Daten über Personen wird vom Geheimdienstresidenten an der Botschaft und seinen offiziell zwei Mitarbeitern organisiert.“ Tatsächlich finden sich vereinzelt auch in deutschen Regionalzeitungen Berichte, wonach Leute bei der Einreise in die Türkei ähnlich behandelt wurden wie Özaslan und Eski.

Die nachrichtendienstliche Tätigkeit erfolge in unterschiedlicher Intensität, besonders stark sei sie in einem ellipsenförmigen Raum zwischen Ankara und den Niederlanden festzustellen, einschließlich Belgiens, Österreichs, der Schweiz und vor allem Deutschlands. „Das ist die Erdogan-Ellipse.“ Sie decke sich mit der Sendeleistung des türkischen Staatsfernsehens. „In dieser Ellipse brauchen die, die Erdogan empfangen wollen, die kleinsten Schüsseln.“ Und wie ist das mit dem Populismus? Hätte die FPÖ diesen Wirbel gemacht, sagt Peter Pilz, dann wäre das Ergebnis der Slogan gewesen: „Türken raus“. Es habe aber nun einmal er gemacht, der Grüne. Und seine Parole sei: „Wir beschützen unsere Türken vor Erdogan.“ Kürzlich sei er in der U-Bahn von jemandem darauf angesprochen worden, und zwar zustimmend. Und das sei einer gewesen, bei dem er den Eindruck hatte, „unsere Türken“ hätte der vor kurzem noch nicht gesagt.

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