MESOP: DAS MILITÄR-ARSENAL PUTIN’S IN SYRIEN / IRAN LIEFERT DAS KANONENFUTTER

Syrien Die Völkerschlacht von Aleppo –  Von Rainer Hermann (FAZ) 15 Okt 2016

Die Großmächte sind sich uneinig über mögliche Lösungen für den Krieg in Syrien. Aber auch an der Front wird die Lage immer unübersichtlicher. Längst kämpfen nicht mehr nur Syrer gegen Syrer.Als die Schlacht um Aleppo am 19. Juli 2012 begann, standen sich auf dem Schlachtfeld noch überwiegend Syrer gegenüber. Heute geben auf beiden Seiten aber externe Akteure den Ton an. Die Schlacht um Aleppo zeigt zweierlei: Der Krieg in Syrien ist kein lokaler Konflikt mehr, sondern ein internationaler Stellvertreterkrieg. Und der Graben zwischen den Akteuren verläuft nicht mehr entlang ideologischer, sondern entlang konfessioneller Linien:

Auf der Seite des Damaszener Regimes ziehen die schiitischen Milizen mit ihren Schlachtrufen in den Krieg, und auf der Seite der Rebellen kämpfen sunnitische Krieger unter dem Banner des Dschihads. Beides – die Ausweitung auf einen Stellvertreterkrieg und die Konfessionalisierung des Konflikts – verlängert den Krieg und erschwert eine Lösung.Auf der Seite des Regimes stehen noch immer einige Einheiten der regulären syrischen Armee an der Front von Aleppo. So kommandiert Maher al Assad, der jüngere Bruder von Machthaber Baschar al Assad, die Präsidentengarde und die Eliteeinheiten der 4. Division; Assad vertraut auch Suheil al Hassan, der ebenfalls zur Religionsgemeinschaft der Alawiten gehört und vor Aleppo die 5. Division kommandiert.

Externe Unterstützer stehen in Aleppo an der Front

Die regulären Einheiten spielen aber eine immer geringere Rolle. Zehntausende sind desertiert, und Assad vertraut nur noch Offizieren und Soldaten, die keine Sunniten sind – damit bleiben nur noch wenige loyale Einheiten. Zudem sind die bewaffneten Kräfte des Regimes ausgeblutet. So schätzt die oppositionsnahe Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte, dass jedes vierte der mehr als 430000 Kriegsopfer (die Foltertoten in den Gefängnissen sind dabei nicht enthalten) auf die syrische Armee, Polizei oder die Schabiha-Milizen des Regimes entfällt.

Das Regime wäre daher ohne externe Unterstützer längst kollabiert. Die stehen auch in Aleppo an der Front. Die Milizionäre und Söldner, die die Bodentruppen stellen, kommen aus dem Libanon und dem Irak, aus Iran und aus Afghanistan, sogar aus Pakistan; es sollen in Aleppo mehr als 10000 sein. Die Lufthoheit gehört, neben wenigen veralteten syrischen Flugzeugen, der russischen Luftwaffe. Wie sie sich untereinander sprachlich verständigen, ist ein Rätsel.

Bereits Ende 2011, ein halbes Jahr nach dem Ausbruch des Konflikts, hatten Einheiten der Hizbullah aus dem Libanon die Regimekräfte verstärkt. Seit dem vergangenen Sommer haben ihre Truppen im Nordwesten Aleppos die Einnahme des Streifens um die strategisch wichtige Castello Road vorbereitet. Vor einem Monat wurde dann diese letzte Verbindung des von den Rebellen gehaltenen Ostteils Aleppos zur Außenwelt durchschnitten, so dass dort seither mehr als 250000 Menschen eingekesselt sind.

An der Front von Aleppo kämpft ferner der iranische General Qassem Soleimani, der in seiner Heimat als Star gefeiert wird. Er führt die Eliteeinheiten der Quds-Brigaden an. Sie sind der internationale Arm der iranischen Revolutionsgarden und stellen in Aleppo auch eigene kämpfende Bodentruppen mit iranischen Staatsbürgern; sie übernehmen überwiegend Kommandofunktionen. Die Quds-Brigaden haben in den vergangenen Jahrzehnten eine kämpfende schiitische Internationale aufgebaut, und so rekrutieren sie für Syrien Söldner aus dem Irak, Afghanistan und Pakistan.

Iran sorgt für Kanonenfutter

Nach dem Juni 2014, als der „Islamische Staat“ (IS) weite Teile des Iraks erobert hatte, haben die Qods-Brigaden und Soleimani in kürzester Zeit unter den schiitischen Irakern die Milizen der „Volksmobilisierung“ (Haschd Schaabi) auf die Beine gestellt; diese haben den vorstürmenden IS von Bagdad und dem schiitischen Südirak ferngehalten. Heute kämpfen viele von ihnen in Syrien und vor allem in Aleppo. Zum zweiten Mal haben die Quds-Brigaden damit loyale und proiranische bewaffnete Einheiten im Ausland geschaffen; das erste Mal war die Gründung der Hizbullah 1982 im Libanon gewesen. Im Irak sind diese schiitischen „Volksmobilisierung“-Milizen für die Amerikaner ein Partner, nämlich im Krieg gegen den IS; in Syrien stehen sie sich gegenüber.

Bashar al-Assads Armee wird von Russland mit Raketen und Kriegsschiffen unterstützt.

Noch vor der Gründung der „Haschd Schaabi“-Milizen, nämlich bereits seit 2013, hat ein Ableger der mächtigen schiitischen irakischen Miliz „Asaib al Haq“ in Syrien zu kämpfen begonnen. Die Truppen dieser „Bewegung der Noblen der Hizbullah“, die auch kurz Nudschabaa heißt, kämpft seit einem Jahr überwiegend um Aleppo. Ferner sorgt Iran dafür, dass – meist als Kanonenfutter – schiitische Afghanen in Syrien kämpfen, die aus Afghanistan nach Iran geflohen sind und hoffen, für ihren Kriegseinsatz mit einer dauerhaften Aufenthaltsgenehmigung in Iran belohnt zu werden.

Ausländische Kämpfer kommen aus mehr als 80 Staaten

Alle diese Einheiten rücken auf dem Boden auch deshalb vor, weil ihnen russische Kampfbomber den Weg ebnen. Zudem hat Russland Assads Armee mit Buk-Raketen ausgestattet. Das ist der Raketentyp, mit dem das Flugzeug MH17 abgeschossen wurde. Ferner entsandte Moskau Kriegsschiffe und ein Raketenboot mit Flugabwehr ins Mittelmeer, und Moskau soll nach einem Bericht einer oppositionellen russischen Zeitung bis zu 2500 russische Angehörige einer Sicherheitsfirma auf dem Boden einsetzen, überwiegend in Aleppo, aber auch in Latakia.

Dieser schiitischen Front, die um russische Kräfte ergänzt wird, steht eine ebenso vielfältige sunnitische Front gegenüber. Mehrere zehntausend nichtsyrische Kämpfer haben sich im Norden Syriens unterschiedlichen Gruppen angeschlossen, in denen Syrer meist die Mehrheit bilden. Militärisch, logistisch und finanziell werden sie von Saudi-Arabien, der Türkei und Qatar unterstützt, auch von den Vereinigten Staaten. Die ausländischen Kämpfer kommen offenbar aus mehr als 80 Staaten.

Comeback der Freien Syrischen Armee

Auffällig ist das Wiedererstarken der Freien Syrischen Armee (FSA). Sie war zu Beginn des Konflikts die wichtigste militärische Kraft, die gegen die reguläre syrische Armee kämpfte. Früh schlossen sich jedoch viele Kämpfer radikalislamischen Gruppen an, etwa den Ahrar al Scham oder der Nusra-Front, die seit Ende 2011 als Ableger von Al Qaida in Syrien für den Sturz des Regimes kämpft. Mit Hilfe ihrer Sponsoren aus den Golfstaaten boten sie einen höheren Sold und hatten bessere Waffen als die FSA. Das Comeback der FSA heute wird unter anderem darauf zurückgeführt, dass die Türkei deren finanzielle Attraktivität verbessert hat. Die ideologischen Grenzen zwischen den bewaffneten Gruppen der Rebellen sind fließend; auch kooperieren sie untereinander gegen den gemeinsamen Feind. Die Umbenennung der Nusra-Front im September in „Front zur Eroberung Großsyriens“ hat an ihrer Ausrichtung nichts verändert.

Zwei Konfliktebenen überlagern sich. Auf der einen geht es um die politische Neuordnung in Syrien: die alten Machtstrukturen und damit das Regime beibehalten oder die Macht neu verteilen, also den Rebellen an die Macht verhelfen. Zudem prallen in Aleppo zwei Vorstellungen des Dschihads aufeinander. Die schiitischen Milizen ziehen mit dem Schlachtruf „Labbaik ya Hussein“ (Hier bin ich, o Hussein) in den Krieg. Sie rufen den an, dessen Tod im Jahr 680 durch eine sunnitische Übermacht sie heute rächen wollen. Viele der sunnitischen Dschihad-Krieger hingegen sehen es als Auftrag an, das Schiitentum auszulöschen, das sie für einen Abfall vom „wahren Glauben“ halten.

Noch komplexer wird die Gemengelage durch zwei weitere Akteure: durch den IS, dessen Herrschaftsgebiet im Nordosten an Aleppo grenzt, und durch eine kurdische Enklave im Norden Aleppos. Die Kurden wollen weder in einem „arabischen Syrien“ leben noch in einem religiös legitimierten. Um bei derart vielen Akteuren mit so unterschiedlichen Interessen eine Lösung zur Beilegung des Konflikts zu finden, kann die Syrien-Diplomatie an diesem Wochenende nur ein kleiner Zwischenschritt sein.  http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/naher-osten/die-lage-in-aleppo-wird-immer-unuebersichtlicher-die-grossmaechte-koennen-sich-ueber-ihr-vorgehen-nicht-einigen-14481506.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2