MESOP EUROPE : ANGESICHTS DES VOLLSTÄNDIGEN RUINS DER LINKEN / HOUELLEBECQ IST NICHT NARZISSTISCH

Michel Houellebecq  – Nennt mich Schriftsteller – Von Julia Encke (FAZ)

Auf dem Empfang zum Frank-Schirrmacher-Preis betont Michel Houellebecq immer wieder, kein Intellektueller zu sein – und ruft die Intellektuellen auf, ein neues Denken hervorzubringen. 28.09.2016, von Julia Encke

Als am Montagabend im Berliner Redaktionsgebäude der F.A.Z. zum zweiten Mal der Frank-Schirrmacher-Preis verliehen wurde, diesmal an den französischen Schriftsteller Michel Houellebecq, war von Houellebecq zunächst gar nichts zu sehen. In der ersten Reihe vor dem Rednerpult saßen Rebecca Casati, die Witwe des vor zwei Jahren verstorbenen Herausgebers dieser Zeitung, und Ulla Unseld-Berkéwicz. Es saßen dort jene, die den Schirrmacher-Preis ins Leben gerufen haben, Martin Meyer, Michael A. Gotthelf, Matthias Döpfner und Marco Solari. Und, zusammen mit seiner Frau Andrea Sawatzki, der Schauspieler Christian Berkel, der an diesem Abend mit undramatisch schönem Ernst Texte von Frank Schirrmacher vortragen sollte.

Dass zwischen ihnen, etwas zusammengekauert, mit seiner Freundin aber auch längst Houellebecq saß, fiel gar nicht auf, möglicherweise auch deshalb, weil er so elegant aussah wie lange nicht: neue Frisur, Lesebrille, kein Parka, sondern Sakko. Und so war man fast verwundert, als der Preisträger, der an diesem Abend als „Visionär“ für „herausragende Leistungen, die zum besseren Verständnis der Gegenwart beitragen“ ausgezeichnet wurde, aufstand und viel eher an einen französischen Intellektuellen erinnerte als an das schon zur Ikone gewordene Bild des an seinem Körper Raubbau treibenden Schriftstellers.

„Ich bleibe bei meiner Prophetie“

Der Eindruck täuschte trotzdem. Inwiefern er sich vom Intellektuellen unterschied, das war ihm in seiner Rede besonders wichtig zu betonen. Ein Intellektueller sei jemand, der fleißig studiert habe, in Frankreich am besten an der École Normale Supérieure. Jemand, der Essays veröffentliche und dessen Name regelmäßig unter Meinungsstücken zu Ideendebatten stünde. Er aber sei kein Intellektueller. Er sei Schriftsteller. Als solcher verweigere er sich – anders als viele französische Intellektuelle, die sich der Linken zugehörig fühlen – jeder Art von Ideologisierung und jeder Form von politischer Korrektheit. Und gerade weil er dies tue, nehme er für sich in Anspruch, zusammen mit seinen Schriftstellerkollegen Maurice Dantec und Philippe Muray die französischen Intellektuellen „aus der Zwangsjacke der Linken“ befreit zu haben: „Man kann nicht sagen, dass die französischen Intellektuellen ,sich befreit hätten‘: Die Wahrheit ist, wir waren es, die sie befreit haben, wir haben mit dem gebrochen, was sie hemmte. Jetzt ist es an den Intellektuellen, sich ans Denken zu machen. Und wenn sie ein neues Denken hervorbringen können, das dann auch zu tun.“

Frank Schirrmacher, dachte man, während man dem Preisträger zuhörte, der seine Rede in französischer Sprache zwar nicht besonders deutlich artikuliert, aber völlig frei hielt, hätte diese Pointe sicher gefallen. Denn das Interesse für die nahe Zukunft, die man bei Houellebecq findet, die Ideologiefeindlichkeit und der Drang, sich immer neuen Themen zuzuwenden – all das zeichnete ja auch Schirrmacher aus. Auch thematisch lagen beide an diesem Abend beieinander, jedenfalls dort, wo es um Fragen der Demographie ging: „Das Vordringen des Islams beginnt gerade erst, denn die Demographie ist auf seiner Seite, während Europa, indem es aufhört, Kinder zu bekommen, sich in einen Prozess des Selbstmords begeben hat“, sagte Houellebecq in seiner Rede. Er schlug damit einen sehr ähnlichen Ton an wie Schirrmacher in einem Text vom Oktober 2010, der unter dem Titel „Seehofers Stimmungspolitik“ erschienen war. Sechs Jahre später wagte Houellebecq eine überraschende Schlussfolgerung: „Ich bleibe bei meiner Prophetie, auch wenn die Ereignisse mir im Moment unrecht geben. Der Djihadismus wird ein Ende finden, denn die menschlichen Wesen werden des Gemetzels müde werden.“

„Bleiben Sie anstrengend!“

Nun wäre Houellebecq nicht der legendäre Verunsicherer, Ironiker und Provokateur, als der er von manchen heftig kritisiert und von vielen gefeiert wird, wenn man sicher sein könnte, dass er alles, was er sagt, immer nur ernst meinte. „Lieber Michel Houellebecq, Sie haben uns eine anstrengende Aufgabe hinterlassen. Wir brauchen Sie, bleiben Sie anstrengend“, rief die Soziologin Necla Kelek dem Preisträger am Ende ihrer Laudatio völlig zu Recht zu. Es gebe Stellen in seinen Büchern, aus denen man, „radikal entgegengesetzte Schlüsse ableiten“ könne, gab er selbst zu. Auch darin besteht die Anstrengung der Auseinandersetzung mit ihm.

Kelek umarmte Michel Houellebecq an diesem Abend, indem sie seine Schriften für ihre Islamkritik überschwänglich vereinnahmte: „Debatten um Burka, Kopftuch, Kinderehen, Zwangsheirat, Ehrenmord, Parallelgesellschaften werden von Muslimen höchst selten geführt“, beklagte sie. Man mische sich nicht in die eigenen Dinge ein, begreife vielmehr jede Einmischung als Angriff.

Es wäre interessant gewesen, eine Antwort Houellebecqs auf Necla Keleks Thesen zu hören. Ein Intellektueller hätte vielleicht geantwortet. Der Schriftsteller Michel Houellebecq aber nahm seinen Preis entgegen – und verschwand danach genau so unauffällig wie er gekommen war. www.mesop.de