MESOP NEU : Autonome Grüße aus dem Ritz / In Moskau versammeln sich Gegner einer monopolaren Welt

MOSKAU, 25. September. FAZ – Ein Weckruf der „nationalen Befreiung” soll an diesem Sonntag aus Moskau erschallen — jedenfalls an Adressaten in Ländern, die der Kreml im Ringen um Einfluss als Gegner ausgemacht hat.

Dafür ist eine Auslese selbsternannter Freiheitskämpfer ins Ritz Carlton gekommen, etwa aus den Vereinigten Staaten, Spanien, von der irischen Insel. Vor dem Eingang des Hotels in Sichtweite des Kremls werben teuerste MercedesBenz-Modelle um Kunden. Im ersten Stock erklärt ein Hüne im blauen Streifenanzug mit Bart und Brille seinen „Dialog der Nationen”. Alexander Ionow ist 26 und trägt noch Zahnspange, aber auch ein Funkgerät am Gürtel und einen Knopf im Ohr. Das lässt ihn wie einen Türsteher wirken. Doch Ionow ist mehr: ein Muster an Engagement in dem Bereich, der in Russland als Zivilgesellschaft gilt und den der Staat anders als etwa Umweltschützer und Wahlbeobachter nicht schikaniert, sondern alimentiert.

An diesem Tag begrüßt Ionow als Präsident seiner „Antiglobalisierungsbewegung Russlands” knapp 30 Gäste und Dutzende Zuhörer. Man spricht über „Selbstbestimmungsrecht der Völker und Aufbau einer neuen Weltordnung”, schon zum zweiten Mal nach 2015. Daneben ist der junge Mann im Vorstand der Organisation „Offiziere Russlands” —und just während er Streiter für die Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien, Transnistriens von der Republik Moldau und für ein freies Kalifornien, Texas und Hawaii begrüßt, blockieren einige seiner „Offiziere” in grauem Flecktarn eine Fotoausstellung in Moskau, der eine Kreml-Politikerin Pädophilie vorgeworfen hat. Im selben parapolizeilichen Graubereich gegen Putin-Gegner aller Art wirkt seit 2015 eine „Anti-Majdan-Bewegung”, deren Führung Ionow auch angehört.

So viel Nähe zur Macht ebnet den Weg ins Ritz Carlton; so viel Zivilgesell-schaft muss sein, auch wenn das Land ansonsten spart. Ionow erläutert, man habe für die Einladung der Teilnehmer zum “Dialog” Fördergelder des Präsidenten für die Entwicklung der Zivilgesellschaft erhalten. Und habe private Gönner. Deren Namen will Ionow ebenso wenig nennen wie den seines angeblichen Unternehmens, das sich etwa „Investitionsschutz” widme. Er und der „Dialog der Nationen” seien politisch unabhängig, erläutert Ionow und plädiert in Worten, wie sie auch Putin wählt, für eine „multipolare Welt” und gegen „Einmischung dritter Länder”, also der Vereinigten Staaten.

„Ehrenmitglieder” der „Antiglobalisierungsbewegung” sind nach Auskunft Ionows der frühere iranische Präsident Mahmud Ahmadineschad sowie die Präsidenten Venezuelas und Syriens, Nicoläs Maduro und Baschar al Assad. Keiner von ihnen ist in Moskau dabei; aber zwei junge Frauen aus dem Libanon preisen Assad in höchsten Tönen. Sie gehören zu einer Partei namens Marada-Bewegung, deren Führer als persönlicher Freund Assads gilt und deren Logo die beiden Frauen am Revers tragen: eine schwertförmige Kombination aus christlichem Kreuz und Zeder. Sie klagen über das Unverständnis des Westens im Kampf Assads gegen “Terroristen” und über Israel, das kein Recht habe zu existieren. Ersteres ist Regierungslinie in Moskau, Letzteres nicht — aber zum „Dialog der Nationen” sind ja nicht einmal Vertreter der Regierungspartei “Einiges Russland” gekommen, sondern nur drei Männer der scheinoppositionellen “Liberaldemokraten”. So muss man sich von nichts distanzieren, und überhaupt wirbt Ionow für friedliche Konfliktbeilegung. Im Logo der „Antigloba-lisierungsbewegung” fliegt eine Friedenstaube mit Olivenzweig.

Freilich schimpft im Ritz Carlton kein Uigure auf Peking, kein Kosovare feiert die Befreiung vom serbischen Joch. Zur Runde, gehören auch keine Bewohner der russischen Nordkaukasus-Republiken Tschetschenien und Dagestan, die sich von Moskau lossagen würden, oder Mitglieder der Minderheit der Krimtataren, die gegen die Verfolgung durch die neuen Machthaber auf der ukrainischen Halbinsel protestieren würden. Auf die Frage, warum denn nicht solche Separatisten geladen sind, bezeichnet Ionow solche Gruppen als “Terroristen”, die aus dem Ausland finanziert würden, von Washington zumal. Noch einmal anders ist die Lage für einige Besucher in grünem und beigem Flecktarn, auf deren Uniformen „Neurussland” oder das Kürzel der „Volksrepublik Donezk” steht und die zwischen Hochglanzholz und Porzellan fehl am Platz wirken. Die ostukrainischen „Separatisten” würden gerne Teil Russlands sein. Doch Putin will sie vorerst nicht. (frs.)

26 Sept 2016 – Friedrich Schmidt, Moskau, FAZ