DIE ARROGANZ DER ERBOBERER / VON CHRISTOPH EHRHARDT (FAZ)

MESOP REPORT : WAS GESCHIEHT IN MANBIJ ? DIE PKK/PYD KOMMUNE  & IHRE MENSCHEN & AUCH LINKE

BEIRUT, 23. August. Für Hassan Naifi ist Manbidsch nicht befreit worden. „Die Menschen waren heilfroh darüber, dass die Dschihadisten weg sind”, sagt er. „Aber die freundlichen Befreier haben auch ein anderes Gesicht.” Mitte des Monats war der „Islamische Staat” (IS) aus der nordsyrischen Stadt vertrieben worden. Nach wochenlangen Kämpfen und massiven Luftangriffen der amerikanisch geführten Anti-IS-Koalition waren die Milizionäre der Syrian Democratic Forces (SDF) in die Stadt eingerückt. Frauen verbrannten ihre Vollschleier, steckten sich Zigaretten an, umarmten kurdische Kämpferinnen. Aber Hassan Naifi, der auf der Todesliste des IS stand und fliehen musste, ist noch nicht in Feierstimmung. Er kann nicht zurück. Sein Bruder und dessen Familie, die geblieben war, die der IS als Geisel genommen und weiter im Norden freigelassen hatte, auch nicht. Die neuen Herrscher (PKK/PYD) würden das nicht zulassen, sagt er.

Die beeindruckenden Bilder der Siegesfeiern in Manbidsch waren so kurdisch gefärbt, wie es die „Syrischen demokratischen Kräfte” sind, die als Verbündete Amerikas am Boden den Krieg gegen den IS in Syrien gewinnen und dessen Hochburg Raqqa erobern sollen. Dort geben die straff organisierten sogenannten Volksschutzeinheiten (YPG) den Ton an,  der militärische Arm der PYD-Organisation, die wiederum eng mit der kurdischen PKK verbandelt ist. Sie dominieren auch die neue Führung in Manbidsch. Für Leute wie Hassan Naifi, der geholfen hatte, Manbidsch aus der Kontrolle des Regimes zu lösen, gibt es offenbar keine Verwendung mehr. Er arbeitet jetzt im politischen Rat der Stadt. „So etwas wie die Exilopposition von Manbidsch”, sagt er.

Naifi ist Anwalt und Dichter. Ein alter Linker, der wegen seiner Gesinnung 15 Jahre lang im Gefängnis saß, aber sich dafür einsetzte, Racheakte zu verhindern. Einer, der noch immer von einer „Volksrevolution” in Syrien spricht, von einem „Feuer, das weiter brennt unter all der Asche”. Bis der IS die Stadt eroberte, arbeitete Naifi im gewählten Stadtrat, der versuchte, das zivile Leben in Manbidsch zu organisieren, nachdem die Sicherheitskräfte, Geheimdienstler und Milizionäre Baschar al Assads abgezogen waren.

Als der Aufstand begann, hatte die Stadt günstig gelegen. Entlegen im Norden, schnell umgeben von Rebellengebiet, nicht wichtig genug für das Regime, um einen blutigen Abnutzungskrieg wie in anderen Städten zu führen. Aber jetzt. liegt Manbidsch auf jenem Boden, den PYD und YPG aus den Kantonen Afrin, Kobane und Qamischli gerne zum kurdischen Staatsgebiet von „Rojava” vereinen würden. Das Problem ist hier, wie anderen Gegenden im Norden wo der kurdische Staat entsteh dass in der Region um die Stadt ein Viertel der Einwohner kurdischen Staatsgebiet  von Rojava vereinen würden. Das Problem ist hier, wie auch in anderen Gegenden im Norden Syriens, wo der kurdische Staat entstehen soll, daß in der Region um die Stadt nur etwa ein Viertel der Einwohner kurdisch sind.

Die Klage über arabische Familien in der Region um Manbij, die durch kurdische Milizionäre aus ihren Dörfern vertrieben  oder deren Häuser zerstört wurden, klingt vertraut. Die Menschenrechtsorganisation amnesty international  hatte  im Herbst vergangenen Jahres Fälle syste-matischer Vertreibung dokumentiert. „Sie haben uns gedroht, der amerikanischen Koalition zu sagen, dass wir Terroristen sind und dass die Flugzeuge dann uns und unsere Familien bombardieren würden”, lautete damals eine Opfer-Aussage. Hassan Naifi und ehemalige Mitstreiter des vertriebenen Stadtrats berichten jetzt von Schikane gegen Bewohner von Manbidsch, die unberechtigt beschuldigt würden, IS-Kollaborateure zu sein, von Misstrauen und Arroganz der Befreier.

Scherwan Derwisch, Sprecher des SDF-Militärrates von Manbidsch, weist solche Anschuldigungen brüsk als „alten Hut” zurück. Das seien „Lügen” von Leuten, die irgendwo in der Türkei säßen und eine politische Agenda hätten. Der Bericht der Menschenrechtsorganisation sei „unprofessionell”, schimpft er. An ihn habe sich auch noch niemand gewandt, der nicht nach Manbidsch zurückdürfe. Der Militärrat habe die Verwaltungsgeschäfte schon an einen zivilen Rat übergeben, und dessen vordringlichste Aufgabe sei nun, dafür Sorge zu tragen, dass alle Bevölkerungsgruppen in der neuen Führung und Verwaltung der Stadt vertreten sind.

Idris Nassan, ehemals so etwas wie der Außenbeauftragte von Kobane, der jetzt ein unabhängiger politischer Analyst sein will, bezeichnet die Berichte über Vertreibungen ebenfalls als Unsinn. Er äußert sich aber etwas weniger scharf. Natürlich gebe es Leute, die glaubten, es drohe eine kurdische Besatzung, und daher der Stadt fernblieben, gesteht er ein. Auch, dass die PYD derzeit die stärkste Kraft in der neuen Stadtregierung sei. Das „Militär” sei weiter in Manbidsch, sagt er, weil noch die Sprengfallen geräumt werden müssen, die der IS überall gelegt habe. Er deutet aber auch an, dass „für gewöhnlich” die inneren Sicherheitskräfte der PYD nachrücken, denen Verhaftungen und Ein-schüchterung Andersdenkender und auch die Misshandlung von Gefangenen vorgeworfen wird.

Die neue Führung in Manbidsch habe sich auch an ihn und seine Leute gewandt, berichtet Hassan Naifi. „Aber sie wollten unsere Bedingungen nicht erfüllen.” Er zählt auf: Erstens solle die Entscheidung darüber, ob Manbidsch zu einem unabhängigen Westkurdistan gehören soll, von allen Syrern getroffen werden nicht nur von den Leuten in der Stadt; zweitens solle die Verwaltung der Stadt politisch unabhängig und von vor Ort sein; drittens sollten die vertriebenen Kämpfer der oppositionellen „Freien Syrischen Armee” (FSA) das Recht erhalten, nach Manbidsch zurückzukehren. Der Militärrat habe abgelehnt. Er stehe jetzt auf deren schwarzer Liste. „Faktisch haben die Militärs die Macht — trotz des zivilen Rates”, sagt Naifi.

Zurückgekehrte FSA-Brigaden und kurdische SDF-Milizionäre in einer Stadt —das könnte auch zu neuer Gewalt führen. Viele Rebellenkommandeure begegnen den YPG-Einheiten mit Verachtung, nennen sie „Besatzer”. Sie haben nicht vergessen, dass die PYD-Kurden sich mit dem Regime arrangiert haben, wo es ihnen nutzte — etwa in Hassakeh, wo lange Zeit ein unausgesprochener Nichtangriffspakt hielt. Dass YPG-Milizen im Windschatten russischer Luftangriffe und Offensiven des Regimes Terrain auf Kosten der Rebellen unter ihre Kontrolle brachten. Dass in Aleppo YPG-Kämpfer Assads Truppen bei der Belagerung halfen, indem sie Zivilisten unter Feuer nahmen.

Die PYD und ihr bewaffneter Arm waren lange in einer äußerst komfortablen Lage: Amerika unterstützte die YPG, weil sie die effektivste Streitmacht gegen den IS stellten. Zugleich hatten sie Rückendeckung aus Moskau. Russland, der wichtigste Assad-Verbündete, nutzte die Kurdenorganisation, um den Assad-Gegner Recep Tayyip Erdogan zu provozieren. Denn der türkische Präsident führt einen erbitterten Krieg gegen die PKK und deren Verbünde-te in Syrien, deren Staatsgründungsplan er um jeden Preis vereiteln will. Es wurde sogar eine Vertretung in Moskau eröffnet.

Doch der Rückenwind scheint sich zu drehen. Mit Syrien befasste Diplomaten glauben, dass er den kurdischen Eroberern irgendwann mit Wucht ins Gesicht blasen könnte. Gut möglich, dass die Kurden am Ende wieder die Verlierer seien, heißt es. Die jüngsten Entwicklungen laufen jedenfalls den PYD-Bestrebungen und Interessen zuwider. Die Machtmenschen Wladimir Putin und Erdogan nähern sich an, was dem türkischen Präsidenten wiederum die Möglichkeit gibt, selbstbewusster gegenüber den Amerikanern aufzutreten, die ihre kurdischen Verbündeten im Kampf gegen den IS aufgeben wollen. Die türkische Armee nimmt Stellungen der YPG unter heftigen Beschuss, in Hassakeh bereiten heftige Gefechte zwischen den Truppen Assads und YPG-Milizionären dem Burgfrieden ein Ende. Von den anderen Assad-Gegnern dürften die YPG-Milizionäre wohl vorerst keine Hilfe erwarten. Wir haben fünf Jahre gegen das Regime gekämpft — sie tun es erst seit ein paar Tagen”, sagt ein FSA-Kommandeur im Umland von Aleppo.

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