MESOP : „EHRE – BLUT & VATERLAND“ – DER MANN HINTER ERDOGAN : MAFIABOSS & KURDENMÖRDER SEDAT PEKER & DIE FIRMA „SADAT“

FRANKFURT, 27. Juli. Wenn sein Name fällt, gefrieren die Mienen. Alles wird ihm zugetraut, dem führenden Paten der türkischen Unterwelt und dem Oberhaupt der organisierten Kriminalität. Auf seiner Internetseite und im wirklichen Leben lässt sich Sedat Peker von seiner Gefolgschaft mit „Reis” anreden, was wörtlich „der Kopf” heißt, aber der „Führer” bedeutet. Das ist er auch. Lange hat Sedat Peker auf eigene Rechnung gearbeitet, für seinen Ruf und sein Imperium, er hatte Schutzgelder eingetrieben und Raub angeordnet, hatte genötigt und gemordet. Dafür wurde der 1971 geborene Peker zweimal zu Haftstrafen verurteilt, 1998 und 2007. Jedes Mal kam er überraschend schnell wieder auf freien Fuß. Eine weitere Haftstrafe trat er am 5. August 2013 an. Zehn Jahre sollte er hinter Gitter, weil er Teil eines „Ergenekon” genannten Putschplanes gewesen sein soll, bei dem ein knappes Jahrzehnt zuvor der damalige Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hätte gestürzt wer-den sollen. Er saß seine Haftstrafe nicht einmal zehn Monate ab. Im März 2014 war er schon wieder auf freiem Fuß. Da hatte ein Gesinnungswandel bereits eingesetzt.

Auch bei dem jetzigen Putsch war seine Stimme wieder zu vernehmen. Diesmal aber nicht auf der Seite der Putschisten, sondern auf der Seite der „Demokratie und des Volkes”, wie Präsident Erdogan nicht müde wird zu sagen. Sedat Peker, der verurteilte Mafiapate, steht jetzt in Diensten des Staates und seines Präsidenten. Schon nach den Terroranschlägen vom 17. Februar 2016, bei denen 29 Menschen getötet worden sind, schrieb er auf seiner Internetseite, dass „unser Staat” — durchgehend geschrieben in Großbuchstaben — ein großer Staat sei und auf jeden Fall geschützt werden müsse. Wenn Terroristen und sie unterstützende ausländische Staaten es fertigbrächten, dass „unser Staat” nicht mehr funktioniere, könne er nicht länger abseits stehen. Denn hinter diesen Angriffen verberge sich ein großes Projekt. Nicht allein die Republik Türkei solle beseitigt und zurückgeworfen werden, sondern die gesamte sunnitisch-muslimische Welt.

Peker schwor Loyalität zu dem türkischen Staat und seinem Staatspräsidenten. Über Twitter teilte er seinen mehr als hunderttausend Followern mit, wie er bei der Parlamentswahl am 1. November 2015 seine Stimme der AKP gegeben hat. Zwei Wochen zuvor hatte er dazu aufgerufen, Patriotismus durch die Unterstützung für Präsident Erdogan zu zeigen. Da trat er in der Schwarzmeerstadt Rize, woher die Familien Peker und Erdogan stammen, mit dem Präsidenten auf. Und er sprach davon, wie das „Blut fließen” werde, das Blut der Feinde des Staats. In Ankara hatte der damalige Ministerpräsident Ahmet Davutoglu an der Kundgebung von Rize keinen Gefallen.

Im Januar 2016 holte Peker noch weiter aus. Er griff die tausend Wissenschaftler an, die eine Petition mit dem Aufruf unterzeichnet hatten, den Kurdenkonflikt im eigenen Land friedlich beizulegen. Ihnen drohte er, dass ihr Blut fließen werde und er in ihrem Blut „duschen” werde. Denn sie seien dafür verantwortlich, dass „der heilige Staat der muslimischen Türken”, alles in Großbuchstaben, funktionsunfähig zu werden drohe.

So weit ist es nicht gekommen. Der türkische Staat funktioniert weiter, und die Wissenschaftler leben noch. Welche Rolle Peker, der als Jugendlicher lange in München gelebt hatte, in der Putschnacht gespielt hat, ist aber unklar. Als der Putschversuch niedergeschlagen wurde, trat er bei einer Kundgebung in der Mittelmeerstadt Alanya vor die Menschenmenge, sprach von „legitimer Verteidigung” und davon, dass dies eine Frage der „Ehre” und des „Vaterlands” sei. Jeder solle wissen, dass er im „Blut der Putschisten duschen” werde. Darauf, so die türkischen Zeitungen, seien auf dem zentralen Platz der Stadt die türkische Flagge und ein Poster Erdogans hochgezogen worden.

Nicht nur den Putschisten gefriert bei solchen Drohungen das Blut in den Adern. Auf seiner Internetseite schreibt Peker: „Als Volk wollen wir die Todesstrafe zurück.” In der Nacht, als Erdogan den Ausnahmezustand über das Land verhängte, feierten die Anhänger Pekers auf dem Istanbuler Taksim-Platz. Sie umringten das Atatürk-Denkmal und brachten eine Grußbotschaft an ihren „Führer” an. Auf den Transparenten war groß sein Name zu lesen, darüber die Losung des Kämpfers für ein groß-türkisches Reich: „Das Ziel ist Turan, der Führer der Koran.” Turan ist ein historisches Gebiet nordöstlich Irans, die Turan-Bewegung strebt ein großtürkisches Reich an. Pekers Anhänger feierten auch in Ankara auf dem Kizilay-Platz, wo über der Flagge der türkischen Nationalisten mit den drei Halbmonden auf rotem Grund das Bild Erdogans schwebte.

Vielen Türken ist bei dieser Mischung aus Nationalismus, Islam und Mafia mulmig zumute. Die Politik in Ankara tut aber nichts, um zu besänftigen. Offenbar folgt es dem „Willen des Volkes”, wenn es die Todesstrafe wiedereinzuführen verspricht. Und Seref Malkoc, einer der wichtigsten Berater Erdogans, hat eine Gesetzesinitiative angekündigt, um den legalen Erwerb von Waffen zu erleichtern. Dem Staatssender TRT sagte er, der Innenminister werde das Nötige veranlassen. Schließlich müsse sich das Volk künftig gegen mögliche Putsche verteidigen können.

Wäre das nur eine Einzelstimme, müsste man ihr keine Beachtung schenken. Während Erdogan davon spricht, die Armee nach dem gescheiterten Putschversuch umzubauen, werden immer mehr Einzelheiten über parallele Strukturen im Sicherheitsapparat der Türkei bekannt. So hat im Parlament der Abgeordnete Ali Riza Öztürk von der oppositionellen CHP eine parlamentarische Anfrage zur Zusammen-arbeit des Staats mit der Sicherheitsfirma „Sadat” gestellt, zu deren Rolle in Syrien und zu der möglichen Zusammenarbeit mit islamistischen Extremisten. Die Firma Sadat wurde 2012 durch den zwangspensionierten General Adnan Tanriverdi gegründet und gilt als „islamistisches Blackwater”, also als die islamistische Version des umstrittenen amerikanischen Sicherheits- und Militärunternehmens Blackwater.

Tanriverdi war vor zwei Jahrzehnten wegen seiner Religiosität unehrenhaft aus der Armee entlassen worden. Mit anderen ebenfalls entlassenen Soldaten gründete er in Istanbul „Sadat”, das auf seiner Internetseite Ausbildungen für alle Arten asymmetrischer Kriegsführung anbietet. Der Whistleblower Fuat Avni, der in den vergangenen Jahren wiederholt als Erster auf Entwicklungen aufmerksam ge-macht hat, schrieb im Frühjahr, Sadat baue eine Parallel-Armee auf, die Massaker an den Kurden verüben solle. Am 25. Juni hätte sich fast eines dieser Massaker ereignet, als in der kurdischen Kleinstadt Lice „bärtige Männer”, die auf den Armen arabische Tätowierungen trugen und als Einheit „Sadat” angaben, 34 Dorfbewohner verbrennen wollten, sagt die kurdische Politikerin Sebahat Tuncel. Ein Offizier der regulären Armee habe das verhindert. Bereits an den Kämpfen zwischen türkischen Sicherheitskräften und kurdischen Aufständischen sollen seit Ende 2015 arabischsprachige Männer beteiligt gewesen sein, sagen die Kurden der Städte, die wie Cizre in solchen Kämpfen zerstört worden sind.

Dass solche Einzelheiten jetzt bekannt  werden und dass sich der Pate Sedat Peker dem Präsidenten Erdogan als Helfer anbietet, trägt nicht dazu bei, die aufgewühlte Stimmung in der Türkei zu besänftigen. Im Gegenteil wächst die Furcht, dass die Spannungen in Gewalt umschlagen.

FAZ RAINER HERMANNN  28 Juli 2016