MESOP REFLEKTION „KARL MARX“ – „Auf dem Fuß folgt der Handelskrieg der europäischen Nationen, mit dem Erdenrund als Schauplatz.”

  • / DIE BEZAHLTEN FREIRÄUME DER NGO’S & LINKEN VERGEHEN

Das neue Spiel heißt Nomonopoly – Von Dietmar Dath

Ist Welthandelspolitik, wie Donald Trump sie gerade scharf ins Visier nimmt, überhaupt Politik? Bei Marx ja, bei anderen nicht. Was daraus von links bis rechts folgt, entscheidet sich jetzt.So egal ihm vermutlich die neuen Bücher und Radiofeatures gewesen wären, die man ihm zum zweihundertsten Geburtstag spendiert, so sehr hätte sich Karl Marx über Donald Trumps Bereitschaft gefreut, einen Testfall auf die Erklär- und Vorhersagekraft der Theorie des Jubilars zu produzieren: Trump winkt mit Schutzzöllen, einen Handelskrieg will er vom Zaun brechen, und die Freihandelsbegeisterten in seiner Partei gehen auf Abstand.

Bei Marx im „Kapital” passiert das, was Trump jetzt in Aussicht stellt, an mehreren wichtigen Stellen, zum Beispiel im Zusammenhang mit der Entstehung des modernen Kapitalismus als „ursprüngliche Akkumulation”, bei der das Kapital als eine Form von Reichtum, die es erlaubt, Arbeitskraft von Menschen ohne Kapital zu kommandieren, durch Ausbeutung von Naturressourcen und Enteignung von Kleinbesitzenden gebildet wird:

„Die Entdeckung der Gold-und Silberländer in Amerika, die Ausrottung, Versklavung und Vergrabung der eingeborenen Bevölkerung in die Bergwerke, die beginnende Eroberung und Ausplünderung von Ostindien, die Verwandlung von Afrika in ein Gehege zur Handelsjagd auf Schwarzhäute bezeichnen die Morgenröte der kapitalistischen Produktionsära. Diese idyllischen Prozesse sind Hauptelemente der „ursprünglichen Akkumulation.”

Der nächste Satz lautet: „Auf dem Fuß folgt der Handelskrieg der europäischen Nationen, mit dem Erdenrund als Schauplatz.”

An anderen Stellen setzt  sich Marx betreffs Handelspolitik mit anderen ökonomischen Denkern auseinander, zum Beispiel mit David Ricardo und dessen Ansichten zur Kontinentalsperre, einer von Napoleon veranlassten Blockade gegen die englische Geschäftstüchtigkeit. In der Theorie, für die Marx berühmt wurde, ist der Handelskapitalismus „die historisch älteste, freie Existenzweise des Kapitals”, er geht aus dem Tausch hervor, kurbelt die Warenproduktion an und bringt Geld in Umlauf. Der Kaufmann ist für Marx ein Protokapitalist, seine Proletarier sind Transportarbeiter. Der moderne Industriekapitalismus wird, wie Karl August Wittfogel in seiner „Geschichte der bürgerlichen Gesell-schaft” schreibt, „vom Handel herangezüchtet”, wächst diesem aber „schnöde und despotisch über den Kopf”.

Geistesgeschichtlich bedeutsam ist an dieser Perspektive, dass sie einen Bruch mit der bürgerlich-fortschrittlichen Geschichtsphilosophie markiert, deren reichste Spielart Georg Wilhelm Friedrich Hegel verantwortet, bei dem Marx historisch denken gelernt hat. Für Hegel gab es Ordnung, Politik, Sinn nur innerhalb staatlicher Grenzen; die Verhältnisse zwischen Staaten fand er geistlos und unter der Würde der Geschichtsphilosophie, die Länder befänden sich, wie niveaulos, „im Naturzustande gegeneinander”. Dass man den „Nomos”, die Ordnung, auch als staatenübergreifend raumpolitisches Problem denken kann, und zwar von links wie von rechts (was dann Carl Schmitt getan hat), zeigt sich deut-lich, wenn man Handelsgeschehen als politisches Geschehen versteht. Den von Hegel verachteten Naturzustand („dereguliert”) will heute vor allem die Freihandelspartei, von Trumps Berater Gary Cohn, der ihn jetzt im Stich lässt, bis zum republikanischen Ayn-Rand-Fan Paul Ryan. Im Gegensatz zu diesen Leuten stehen Paläo-Konservative wie Pat Buchanan, der in einer Polemik vom 6. März mit dem Titel „Why is the GOP Terrified of Tariffs?” (etwa: „Warum hat die Republikanische Partei so panische Angst vor Zöllen?”) davon redet, dass die Vereinigten Staaten im neunzehnten Jahrhundert vor allem aufgrund ihrer strengen Zollpolitik vom Agrarland zur Industriemacht aufgestiegen seien, dass Bismarck es mit dem Zollinstrument auch nicht anders gehalten habe und dass die Japaner nach 1945 „amerikanische. Produkte von ihrem Binnenmarkt ferngehalten”, gleichzeitig aber den Markt der „Nation, die sie beschützte”, mit ihren Autos, Radios, Fernsehgeräten und Motorrädern überschwemmt hätten, so dass sowohl Nixon wie Reagan den Dollar hätten abwerten lassen müssen, „um der Raubtierhandelspolitik Japans etwas entgegenzusetzen”.

Trump persönlich mischt sich in den Kampf um den Nomos der Erde und die absolute Ausnahmestellung, die seiner Meinung nach den Vereinigten Staaten dabei zukommt (er wünscht sich, könnte man mit einem Kofferwort sagen, eine Art Nomonopol), ganz auf Buchanans Frequenz ein, naturellgemäß lauter als jeder Inhaber seines Amtes seit Reagan. Aber auch Obama hat bereits vernehmlich geknurrt, zum Beispiel bei deutschen Exportüberschüssen, was Leute, die gern auf dem Unterschied zwischen ihm und dem Nachfolger herumreiten, nicht gerne hören (Obama hat beim Warnen gemeinsam mit der gewarnten Frau Merkel eher in die Kamera gestrahlt, das stimmt).

Stahl, Aluminium, Autos — besonders spannend wird Protektionismus bei der Ware Arbeitskraft. Das war schon so, als Marx lebte, dachte und schrieb, Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, als die neueste nordamerikanische Anti-Ein-wanderungs-Bewegung noch die „Know-Nothing Party” genannt wurde, aber eigentlich „American Republican Party” heißen wollte und unter ihrem Anführer Lewis Charles Levin, dem ersten Bürger jüdischer Herkunft, der ins Repräsentantenhaus gewählt wurde, vor allem gegen katholische Zuwanderung aus Irland und Kontinentaleuropa kämpfte. Die katholischen Migranten wurden in den Vereinigten Staaten, ähnlich wie heute die mexikanischen (und, in geringerem Ausmaß, die muslimischen) nicht nur als ökonomische, sondern auch als politische Gefahr gesehen, nämlich als importierte Stimmenressource, mittels deren sich Importeure Macht kaufen konnten (der Vorwurf trifft heute die Demokraten).

Nicht allein Nativisten und Nationalisten waren und sind hiervon betroffen. Die immense Schwächung der Reste der alten Arbeiterbewegung in den vergangenen dreißig Jahren hat nicht nur mit dem Zusammenbruch der sozialistischen Staatengemeinschaft zu tun, sondern auch damit, dass da, wo die Ware Arbeitskraft leichter und billiger denn je importiert (oder Arbeit exportiert) werden kann, die Drohung mit Streiks weniger effektiv ist als Trumps Zollknüppel selbst dann wäre, wenn die parteienübergreifende Freihandelsfraktion seines Landes verhindert, dass er ihn allzu lange und allzu weit schwingt.

Ein Riesenstaat wie die Volksrepublik China kann die Ware Arbeitskraft sozusagen binnennomologisch managen; ihre berühmten Umsiedlungsprogramme bei Erschöpfung der Nachfrage für die Erzeugnisse spezifischer Regionen ihres Hoheitsgebiets sprechen da eine deutliche Sprache. Jüngste Reaktionen aus Peking auf Trumps Handelskriegstänze lassen ahnen, dass die Partei, die jenen Staat regiert, es bei Eingriffen ins Eigene nicht bewenden lassen will. Es gibt eine strategische Orientierung auf „Globalisierung der Arbeit als Politikum in den internationalen Beziehungen”, die man etwa in der Studie „Marxism, China and Globalization” (2016) von Xu Changfu kennenlernen kann und die der Volksrepublik die Aufgabe zuweist, für eine weltweit starke Position von Staaten zu sorgen, die eher Arbeitskraft als Kapital zum Weltmarkt beitragen.

Darüber denken heute amerikanische Steinzeit-Rechte und chinesische Marx-Forscher nach, die westliche Linke aber, nun ja — sie muss sich, da sie vom Welthandel und seinen weniger schönen Seiten lange dergestalt profitiert hat, dass ihre Freiräume zur Kritik davon finanziert wurden, vielleicht erst wieder behutsam gewöhnen ans „Erdenrund als Schauplatz” (Marx) von Auseinandersetzungen, bei denen es um mehr und anderes geht als um die Anpassung von codes of conduct für Beschäftigte und Abhängige von Weltkonzernen an zivilisatorische Mindestanforderungen.

DIETMAR DATH