THEO VAN GOGH SCHLUSSFOLGERUNGEN: Warum sich Scholz und Baerbock in der Klimapolitik nicht grün sind – Baerbock gegen Scholz : Er sagt, sie sagt
- Von Ralph Bollmann FAZ – 15.11.2022-Die Regierung gibt sich auf der Klimakonferenz in Ägypten einig. Aber um die Harmonie von Außenministerin und Kanzler ist es nicht gut bestellt. Nicht zum ersten Mal geraten beide
Kommenden Mittwoch wird mal wieder eine Maschine der deutschen Luftwaffe im ägyptischen Badeort Scharm el-Scheich landen, zwischen Wüste und Meer im Süden der Halbinsel Sinai, nicht zum ersten Mal in diesen Tagen. An Bord befindet sich Außenministerin Annalena Baerbock. Die Grüne darf auf den Weltklimagipfel als letztes deutsches Regierungsmitglied kommen und am längsten bleiben, nach dem Kanzler, der Entwicklungs- und der Umweltministerin.
Schließlich hatte sie bei den Koalitionsverhandlungen vor einem Jahr durchgesetzt, dass ihr Haus jetzt auch für die internationale Klimapolitik zuständig ist. Das war eine Art Kompensation dafür, dass sie nach ihrem pannenreichen Wahlkampf die Organisation der heimischen Klimawende ihrem Konkurrenten Robert Habeck überlassen musste.
Wenn Baerbock kommt, ist ein anderer schon mehr als eine Woche weg. Kanzler Olaf Scholz war Anfang voriger Woche am Roten Meer. Am Dienstagnachmittag, ein paar Stunden vor dem Rückflug, steht er vor dem deutschen Delegationsbüro in einem Zelt auf dem Tagungsgelände, Bereich C, eine Deutschland- und Europafahne im Rücken. Er redet über ein paar Dinge, von denen die grüne Außenministerin nicht so oft spricht.
Gaskraftwerke bis weit nach 2030
Baerbock und ihre Parteifreunde erwecken ja gern den Eindruck, als werde es nach dem russischen Überfall auf die Ukraine ganz schnell gehen mit dem Abschied von jedweder fossilen Energie auf der Welt. Scholz räumt im eiskalt temperierten Tagungszelt mit dieser Idee gleich mal auf. „Dort, wo in den 30er-Jahren Kohlekraftwerke geschlossen werden, werden Kraftwerke entstehen, die zunächst mit Gas arbeiten“, sagt er kühl. Dass er ein „und später mit Wasserstoff“ hinterherschickt, macht die Sache in den Augen von Klima-Aktivisten auch nicht viel besser.
Das hörte sich bei Baerbocks Chefunterhändlerin Jennifer Morgan wenige Stunden zuvor noch ganz anders an. Die Außenministerin hatte die frühere Greenpeace-Chefin gleich nach Amtsantritt zu ihrer Beauftragten für die internationalen Klimaverhandlungen gemacht, eine langjährige Aktivistin, auch das eine Kampfansage an die Realpolitiker Scholz und Habeck. Morgan sitzt an diesem Morgen im deutschen Pavillon, neben sich ihren Sherpa-Vorgänger Jochen Flasbarth, der bis vor einem Jahr aus dem SPD-geführten Umweltministerium die Klimaverhandlungen leitete.
Er ist ungeachtet seiner Entmachtung durch die Grünen doch wieder dabei, denn Ressortchefin Svenja Schulze hat ihn ins Entwicklungsministerium mitgenommen, und praktischerweise erklärte die ägyptische Präsidentschaft den Ausgleich von Klimaschäden in den ärmeren Ländern zum Schwerpunkt der Klimakonferenz: ganz klar ein Fall für das sozialdemokratische Ressort – und für Scholz’ industriepolitische Pläne ungefährlich, für seine geopolitischen Absichten sogar günstig.
Keine Erschließung neuer Vorkommen
Jennifer Morgan also beginnt zu reden, erst einmal ganz harmlos, sie verlangt „mehr Ambition“ in der internationalen Klimapolitik. Das sind zwei Wörter, die dem Besucher im Konferenzzentrum von Scharm el-Scheich von jedem Podium entgegenschallen. „More ambition“, das bedeutet hier auf dem Gipfel so viel wie andernorts „Guten Tag“.
Dann wird Morgan nach den Gas-Plänen des Bundeskanzlers gefragt, plötzlich ändert sich der Ton. „Wir haben Glasgow unterzeichnet“, sagt sie – also die Abschlusserklärung der vorausgegangenen Klimakonferenz, die das Erschließen neuer fossiler Vorkommen eigentlich verbietet. „Wir prüfen, ob das kompatibel ist mit dem 1,5-Grad-Ziel.“ Nach großer Koalitions-Einigkeit klingt das nicht.
Es ist nicht das erste Mal, dass Scholz und Baerbock aneinandergeraten. Auch in der Woche davor waren beide auf Reisen, die Außenministerin in Mittelasien, der Kanzler wenig später in China. Die Grüne nutzte ausgerechnet die Visiten bei den autoritären Herrschern von Kasachstan und Usbekistan, um den bevorstehenden Peking-Besuch des Sozialdemokraten als moralisch anfechtbar zu kritisieren. „Der Bundeskanzler hat den Zeitpunkt seiner Reise entschieden“, sagte sie spitz. „Jetzt ist entscheidend, die Botschaften, die wir gemeinsam festgelegt haben im Koalitionsvertrag, auch in China deutlich zu machen.“
Wertebasierte Außenpolitik
Gemeint war die Verabredung der Ampelparteien, die gemeinsame Außenpolitik „wertebasiert und als Basis gemeinsamer europäischer Interessen“ betreiben zu wollen. Als ob nicht gerade in der Frage, was im europäischen Interesse liege, die Meinungen zwischen dem Kanzler und seiner Außenministerin erheblich auseinandergingen.
Das galt, selbstverständlich, auch für die Frage von Waffenlieferungen an die Ukraine. Die verhinderte Vizekanzlerin ging zwar nicht so weit wie der verhinderte Minister Toni Hofreiter, der den Kanzler nahezu täglich mit dem Ruf nach „schweren Waffen“ piesackte, dem „more ambition“ der Ukraine-Debatte. Aber sie machte doch bei jeder erdenklichen Gelegenheit deutlich, dass sie den Regierungschef zu zögerlich fand. Damit sammelte sie vor allem bei den osteuropäischen Bündnispartnern positive Haltungsnoten, allzu viele praktische Konsequenzen hatte es allerdings nicht.
Im Weltbild des Kanzlers mag so etwas als bloße Schaufensterpolitik erscheinen, eine Disziplin, die er nicht sonderlich schätzt. Während Baerbock noch die moralische Außenpolitik der frühen Angela Merkel in ihren ersten Kanzlerinnenjahren imitiert, ist Scholz schon nach dem ersten Jahr in der späten Amtszeit der Vorgängerin angekommen.
Energiekrise und Geostrategie gehen vor
Das gilt auch für die Klimapolitik, die Merkel nach dem gescheiterten Gipfel von Kopenhagen 2008 nur mit sehr gebremster Ambition betrieb, bis der Dürresommer 2019 und die verlorene Europawahl neue Dynamik ins Spiel brachten. Jetzt, seit dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar, beherrschen Energiekrise und Geostrategie den klimapolitischen Diskurs.
Nicht dass dem Regierungschef der Schutz des Weltklimas gleichgültig wäre, aber er setzt doch andere Prioritäten, in gewisser Weise ist ihm die Diplomatie wichtiger als der Chefdiplomatin. Besonders deutlich wurde das, als er am Dienstagmorgen kurz nach dem Statement Jennifer Morgans in einem der fensterlosen Sitzungssäle des Kongresszentrums als Gastgeber einer Art Koalition der Willigen auftrat.
Auf den Namen „Klimaclub“ soll dieses Bündnis nach seinem Willen hören, die Amtskollegen aus den großen Wirtschaftsnationen der G 7 hat er vor einem halben Jahr beim Treffen im bayerischen Elmau schon dafür gewonnen. Jetzt erteilt er auf Englisch den Chefs der internationalen Organisationen von Weltbank bis Währungsfonds das Wort, auch Klimaministern aus Ländern wie Norwegen, den Niederlanden oder den Vereinigten Arabischen Emiraten.
Bewährung in der Praxis
Ein wirklich weltumspannendes Bündnis ist das noch nicht, zumal der allerwichtigste Partner für eine solche Initiative fehlt, die gerade von Scholz besuchte Volksrepublik China. Aber wichtiger als die Frage, wer mitmacht, ist die Weltsicht, die dahintersteht. Für Scholz ist Klimaschutz keine Frage der Moral, sondern der Bewährung in der Praxis.
Das Ganze wird aus seiner Perspektive nur funktionieren, wenn es nicht zum Wohlstandskiller wird. Das hat aus deutscher Sicht zwei Facetten. Hohe Umweltstandards dürfen nicht dazu führen, dass die heimische Industrie aus Kostengründen ihre Wettbewerbsfähigkeit verliert. Wenn sich dieses Ziel nur mit hohen Zöllen und neuen Handelskriegen erreichen lässt, ist es für den Exportweltmeister aber auch schlecht.
Deshalb der Versuch, möglichst viele Staaten auf vergleichbare Standards und Protektionismus-Verzicht festzulegen. Bislang sind wichtige Länder wie China oder Indien zwar nicht dabei. Aber Erhalt der Industrie ist aus seiner Sicht auch ein zentrales Instrument gegen politische Radikalisierung, die der wirtschaftliche Niedergang der arbeitenden Mittelschichten in Ländern wie Großbritannien oder den Vereinigten Staaten ausgelöst hat.
Verbündete in einer multipolaren Welt
Aber nicht nur ökonomische, auch geopolitische Rücksichten gebieten aus Sicht des Kanzlers eine Klimapolitik mit Augenmaß. „Wir werden den Ländern des globalen Südens nicht den Wunsch abschlagen können, dass sie einen gleichen Wohlstand haben, wie wir ihn haben“, sagte Scholz in Scharm el-Scheich. Er bezog das einerseits auf die Vorreiterrolle Deutschlands, das jetzt beweisen muss, dass Klimaschutz nicht Wohlstandsverlust bedeutet. Andererseits geht es dabei aber auch darum, in einer multipolaren Welt mit einem schrumpfenden Europa die Führungsmächte der Zukunft an sich zu binden.
Es gibt in Berlin einen grünen Politiker, der dem Regierungschef in diesen Fragen nähersteht als die Außenministerin, die sich so sehr als Hüterin der reinen grünen Lehre präsentiert. Es ist der Wirtschaftsminister und Vizekanzler Robert Habeck. Selbst als das Debakel mit der im Kanzleramt ersonnenen Gasumlage an ihm hängenblieb, verlor er kein böses Wort über den Kanzler, er wählte lieber ein leichteres Ziel: den freidemokratischen Finanzminister Christian Lindner. Umgekehrt nahm ihn der Kanzler auf seine Gas-Werbetour nach Kanada mit. Es kommt relativ selten vor, dass ein deutscher Regierungschef mit einem einzelnen Minister gemeinsam verreist.
Sogar an den eigenen Widersprüchen lässt der Kanzler das Publikum inzwischen ein klein wenig teilhaben. Als er am Montagabend mit einigen Stunden Verspätung vor dem Plenum der Weltklimakonferenz sprach, hatten vor ihm schon Dutzende von Staats- und Regierungschefs das Wort ergriffen, darunter Schwergewichte wie der französische Präsident Emmanuel Macron oder die neuen Regierungschefs von Großbritannien und Italien, Rishi Sunak und Giorgia Meloni, aber auch Politiker aus kleineren Ländern überall in der Welt.
Sie alle brüsteten sich mit weitreichenden Klimazielen („more ambition“) oder versprachen Finanzhilfen für die Ärmsten. Scholz immerhin leistete sich einen kurzen Anflug von Selbstkritik, schon weil er wusste, dass andere Länder den deutschen Weg sowieso kritisch sehen. „Ja, Russlands brutaler Angriffskrieg auf die Ukraine zwingt uns dazu, für kurze Zeit notgedrungen auch wieder Kohlekraftwerke ans Netz zu nehmen“, räumte er ein. So viele Zweifel sind der Außenministerin normalerweise fremd.